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aus. Für Tage, an denen er keinen Dienst that, muss mithin der Richter eine andere Erwerbsquelle gehabt haben.

Wenn der Verfasser die Frage, ob die aus der Staatskasse besoldeten Richter von ihrem Solde leben konnten, überhaupt nicht aufwirft, so beweist er, dass ihm die Fähigkeit oder das Streben fehlt, sich von den Dingen klare Vorstellungen zu machen. Dieser Mangel an historischer Anschauung, der sein geistiges Niveau noch tiefer hinabdrückt, als der vorher festgestellte Mangel an historischer Kritik, tritt in der ganzen Schrift hervor. Die Allgewalt der Volksgerichte wird schon auf Solon zurückgeführt, obgleich nach der eigenen Angabe des Verfassers alle politisch wichtigen Processe bis über die Zeit der Perserkriege herab zur Competenz des aristokratisch zusammengesetzten Areopages gehörten. Ueber grundlegende Fragen der Athenischen Verfassungsgeschichte erhalten wir mangelhaften oder überhaupt keinen Aufschluss. Die höchst eigenartige Entwicklung der Athenischen Blutgerichtsbarkeit wird mit keinem Worte berührt. Die entscheidenden Fortschritte in der Entfaltung der Athenischen Demokratie, welche durch die Kleisthenischen Reformen und durch die Perikleische Politik herbeigeführt wurden, werden aus der Londoner Schrift nicht anschaulicher, als sie nach unseren bisherigen äusserst dürftigen Quellen waren. Wichtige Verfassungsinstitute, wie z. B. die Ansiedelungen Athenischer Bürger auf erobertem Gebiete (die sogen. Kleruchien), und einflussreiche Politiker wie Alkibiades finden keine Erwähnung.

Man hat das Schweigen des Verfassers über wichtige Gegenstände mit der Vermuthung rechtfertigen wollen, diese Gegenstände hätte ausserhalb seines Planes gelegen. Aber ein Plan, der in der Auswahl des Stoffes so willkürlich verfährt, verräth Mangel an Verständniss für das Wesentliche. Und dieser Mangel zeigt sich nicht allein darin, dass Wichtiges fehlt, sondern auch darin, dass Unwichtiges den dadurch ersparten Raum einnimmt. Die zahlreichen Anekdoten, die aufgetischt werden, über Solon, über die Tyrannen, über die Politiker des fünften Jahrhunderts, sind nur zum Theil geeignet, Verhältnisse und Charaktere anschaulich zu machen. Zum Teil verrathen sie eine schiefe und kleinliche Auffassung der Dinge. Die Einführung des Richtersoldes durch Perikles wird aus den persönlichen Verhältnissen des leitenden Staatsmannes erklärt; diesem hätten die Mittel gefehlt,

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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_08_007.jpg&oldid=- (Version vom 24.2.2023)