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Jetzt war auch der verstockteste unter den Verfolgern bekehrt. Die Priester und Wahrsager, welche ihm den Sieg verkündet hatten, liess er als Betrüger hinrichten. Dann suchte auch er, wie Galerius, in der letzten Stunde noch den Christengott zu versöhnen, indem er nicht nur seine Toleranzedicte in der entschiedensten Weise erneuerte, sondern auch den Kirchen ihr confiscirtes Eigenthum zurückgeben liess[1]. In Cappadocien hatte er wieder ein Heer zu vereinigen vermocht[2], doch als Licinius ihm entgegenrückte, zog er sich hinter die Pässe des Taurus nach Tarsus zurück. Hier wurde er von einer äusserst qualvollen Krankheit befallen, die ihm den Tod brachte, ehe er zum zweiten Male die Entscheidung der Waffen anrufen konnte[3].

So beherrschte denn Licinius jetzt den ganzen Orient, und seine erste Sorge war, Jeden, der ihm oder seinem Sohne in künftigen Zeiten den Thron hätte streitig machen können, aus dem Wege zu räumen. Selbst die Frauen schonte er nicht, deren Hand einem dereinstigen Usurpator irgend einen Schein der Legitimität verleihen konnte. Nicht nur Gattin, Sohn und Tochter seines todten Gegners[4], sondern auch den Sohn des Severus und alles, was von der Familie seiner Wohlthäter Diocletian und Galerius noch übrig war, liess er ohne Rücksicht und Dankbarkeit hinmorden[5]. Der eben noch als Kämpfer Christi aufgetreten war, befleckte sich jetzt mit dem unschuldigen Blute von Weibern und Kindern. Dem Reiche war es vielleicht zum Heil, dass jeder Keim eines zukünftigen Prätendententhums ausgerottet wurde; aber Licinius selbst brachten diese Morde in einen unversöhnlichen Gegensatz zu den Forderungen der Religion, auf deren Seite jetzt sein gegebener Platz war, und eben hierin dürfte die Lösung des psychologischen Räthsels liegen, dass wir später auch ihn unter den Verfolgern finden.

Ueberhaupt waren die beiden Verbündeten, welche jetzt ihre Gegner im Westen und Osten siegreich niedergeschlagen hatten

  1. Euseb. h. e. IX, 10, 6 ff.; vita Const. I, 59.
  2. Lact. de mort. pers. 47.
  3. Lact. l. c. 49; Eutrop. X, 4, 4; Vict. Caes. 41, 1; epit. 40, 8; Euseb. hist. eccl. IX, 10, 14; vita Const. I, 58 ff.; Zos. II, 17, 3. Bei Zos. II, 11 und Socr. I, 2 ist Maximinus mit Maximianus verwechselt.
  4. Euseb. h. e. IX, 11, 7.
  5. Lact. de mort. pers. 50; 51; Zon. XIII, 1; Euseb. h. e. X, 1, 7; 4, 29.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 334. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_335.jpg&oldid=- (Version vom 4.2.2023)