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dem Wege des Gewohnheitsrechtes allmählich zur leeren Formalität herabdrücken zu können, wie dieses ja mit der Volks- und Senatswahl thatsächlich längst geschehen war. Denn der fruchtbarste Satz des ganzen Systems, dass die Thronfolge in erster Linie nicht durch das Heer, sondern durch den Willen des ältesten Augustus zu ordnen sei, war auch ihm zur Glaubensregel geworden. Diese Anhänglichkeit an die Ideen seines politischen Lehrers sollte der verhängnissvolle Irrthum seines Lebens werden; er hinderte ihn in der Jugend, die Früchte seines Glücks und seiner Thaten unbekümmert einzuheimsen; er machte noch seinen letzten Willen für das Reich zum Unheil. Aber was Constantin einmal als recht erkannt zu haben meinte, daran hielt er sich mit einer Zähigkeit, die durch keine Erfahrung ganz zu bekehren war, und am festesten hafteten in ihm die Principien, welche er noch als halber Knabe in sich aufgenommen hatte.

Die Versuchung, ihnen zuwider zu handeln, trat gleich nach dem Tode seines Vaters verführerisch an ihn heran. Es hätte nur eines Winkes bedurft, und er wäre von den Truppen zum Kaiser ausgerufen worden; doch war mit Sicherheit vorauszusehen, dass damit die Aera der Bürgerkriege, welcher Diocletian ein Ende bereitet hatte, sogleich von neuem begann. Vor dieser Verantwortung scheute Constantin zurück. Zwar gedachte er wohl kaum auf das Kaiserthum ganz zu verzichten; denn wer zum Herrscher das Zeug hat, ist immer herrschsüchtig und muss es sein, weil er sonst seinen Beruf verfehlen würde; für den äussersten Nothfall mochte er also wohl auf die treuen Soldaten seines Vaters bauen. Doch so lange sich ihm die Möglichkeit bot, mit Aufrechterhaltung von Diocletians System Kaiser zu werden, hielt er an ihr fest. Er reizte daher Galerius nicht durch den Zwang der vollendeten Thatsache, sondern hielt sich einstweilen vor dem Heere verborgen und sandte einen Brief an die anerkannten Herrscher ab, in dem er einfach den Tod des Constantius meldete und nur die bescheidene Frage hinzufügte, was jetzt seine Herrn und Kaiser über das Reich beschliessen wollten[1].

Die Soldaten waren nicht so geduldig, die Antwort abzuwarten. Namentlich ein Alamannenhäuptling namens Erocus, der für den Brittannischen Feldzug die Hilfstruppen seines Volkes hatte herbeiführen müssen und neue Wirren im Römerreiche nicht ungern

  1. Eumen. paneg. VII 8.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_104.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2023)