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häufiger durch das unmittelbare practische Bedürfniss, oft freilich auch durch persönliche Impulse bestimmt wird. Ungerecht war Constantin nicht; von willkührlichen Hinrichtungen und Confiscationen, wie sie bei den anderen Kaisern jener Zeit an der Tagesordnung waren, weiss seine Geschichte trotz seiner steten Finanznöthe nichts zu erzählen; wohl aber fehlte ihm das geschulte Rechtsgefühl, welches auch den geständigen Verbrecher der schützenden Formen des Processes nicht zu berauben gestattet. Wo er von der Schuld überzeugt war, schien ihm eine Untersuchung überflüssig, und ob der Henker oder der Meuchelmörder das Urtheil vollzog, betrachtete er als eine gleichgiltige Formfrage. Im Feldlager aufgewachsen und von Jugend auf an Blut und Wunden gewöhnt, hatte er das Mitleid früh verlernt. Unter dem Einfluss des Christenthums hat er später zwar reichlich Almosen gespendet[1], das Loos der Gefangenen möglichst zu erleichtern gesucht[2] und für Wittwen und Waisen nach Kräften Sorge getragen[3]; doch war dies alles ihm nur religiöse Pflicht, nicht Bedürfniss des menschlichen Empfindens. Wenn Flehende zu seinen Füssen lagen und auf seine erregbare Phantasie durch rhetorische Schilderungen ihres Elends zu wirken wussten, so konnte er nach der Art nervöser und sanguinischer Naturen wohl Thränen der Rührung vergiessen[4]. Und doch hatten Menschenleben für ihn keinen Werth; gefangene Barbaren hat er, nur um die Feinde zu schrecken und die Schaulust des Pöbels zu befriedigen, ohne Bedenken wilden Bestien vorgeworfen[5] oder unter furchtbaren Martern hinrichten lassen[6], und sein Strafrecht war ebenso hart und grausam, wie das Diocletians und all der folgenden Soldatenkaiser[7]. Gleichwohl hat er sich nie mit einem Morde befleckt, zu dem er nicht nach dem Rechte jener Epoche und der Stimme seines eigenen Gewissens befugt gewesen wäre, und mitunter hat er geschont, wo er hätte hinrichten dürfen, ja vielleicht müssen.

  1. Euseb. vit. Const. I 43; III 58, 4; IV 28.
  2. Cod. Theod. IX 3, 1; 2; XI 7, 3.
  3. Euseb. vit. Const. I 43; Cod. Theod. I 22, 2; III 30, 1–5; IX 21, 4 § 1; 42, 1.
  4. Eumen. paneg. VIII 9.
  5. Eumen. paneg. VII 12; IX 23; Eutrop. X 3, 2.
  6. Eumen. paneg. VII 10; 11; Nazar. paneg. X 16.
  7. Eutrop. X 8, 1. Der Codex Theodosianus bietet dazu auf jeder Seite Bestätigungen.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_090.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2023)