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waren, die Redekunst des Kaisers zur Schau zu stellen, wie seine Umgebung in christlicher Gesinnung zu befestigen[1].

Am schlimmsten machte sich sein Mangel an Bildung auf dem juristischen Gebiete bemerkbar. Soweit seine Gesetzgebung Fragen der Volkswirthschaft oder der Verwaltung regelt, zeugt sie von practischem Scharfblick; aber wo sie das Civil- oder Criminalrecht umgestalten will, ist sie fast immer unzureichend und verletzt oft die elementarsten Regeln der Rechtswissenschaft[2]. Dieselbe Leidenschaftlichkeit, welche die kühne Kriegführung Constantins beseelte, zeigte sich auch in einem unbesonnenen Dreinfahren mit Edicten und Verordnungen, sobald die Erfahrung einen kleinen Uebelstand im geltenden Rechte blosslegte. In der Regel waren sie überhastet und unreif und bedurften immer neuer Ergänzungen und Umgestaltungen, so dass die Ueberproduction an Gesetzen in ganz unglaublichem Maasse anwuchs. Wir besitzen Fragmente von beinahe dreihundert Gesetzen Constantins, und doch ist die Zahl derjenigen, welche er wirklich erlassen hat, damit noch lange nicht erschöpft[3]. Die Pietät gegen das Ueberlieferte, welche der echten Bildung eigen zu sein pflegt, kannte er ebenso wenig, wie sein Vorgänger[4]. Nur darin unterscheidet sich seine Gesetzgebung von der Diocletians, dass sie vielleicht etwas weniger durch Speculationen und Theorien,

  1. Euseb. vit. Const. IV 29; 55. Was Eusebius hier schildert, sind Declamationen, welche vor einem geladenen Publikum (συνεκάλει μὲν αὐτός) vom Kaiser gehalten wurden, genau wie die Sophisten der Zeit sie vorzutragen pflegten. Uebrigens waren sie nach den Worten des Biographen: εἰ δέπη λέγοντι θεολογίας αὐτῷ παρήκοι καιρός nicht alle erbaulichen Inhalts, sondern zum grossen Theil reine Prunk- und Uebungsreden. Dies beweist auch die Ueberschrift des Capitels 29: λογογραφίαι καὶ ἐπιδείξεις ὑπὸ Κωνσταντίνου. Denn ἐπίδειξις ist bekanntlich der technische Ausdruck für das rhetorische Prunkstück.
  2. Cod. Theod. XI 39, 1 hebt den selbstverständlichen Rechtssatz: petitori incumbit probatio thatsächlich auf. III 5, 6 schreibt eine verschiedene Behandlung der Brautgeschenke vor, je nachdem die Verlobten einander geküsst haben oder nicht. IX 8, 1 wird dem Tutor der Beweis auferlegt, dass er die Keuschheit seines Mündels nicht angetastet habe. III 16, 1 wird einer Frau, von der sich ihr Mann ohne hinreichende Gründe geschieden hat, das Recht gegeben, in das von ihr verlassene Haus einzubrechen und ihrer Nachfolgerin die ganze Mitgift wegzunehmen. Diese Blüthenlese liesse sich noch beträchtlich vermehren.
  3. Vgl. Eutrop. X 8, 1.
  4. Julian schalt ihn novator turbatorque priscarum legum et moris antiquitus recepti Amm. XXI 10, 8.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_089.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2023)