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Mensch unter Fremden noch nicht minder allein war als in der starrenden Oede des Urwalds, so bemächtigte sich dieser Geister theilweise ein neuer, ungeordneter Wandertrieb: der h. Wolfgang, in Reichenau erzogen, in Trier und Würzburg gesegnet thätig, dann Mönch zu Einsiedeln, geht als Missionar nach Pannonien, von wo er nur ungern dem Gebot zur Einnahme des festen Bischofsitzes zu Regensburg Folge leistet; noch grössere Wanderer waren der h. Adalbert von Prag[WS 1], der h. Brun von Querfurt[WS 2] –, und über die heimischen frommen Reisen hinaus winkte schon gegen Ende des 10. Jhs. immer verlockender die grosse Fahrt in’s heilige Land zu den Stätten, da Gott gelitten[1].

Das Alles waren Erscheinungen des religiösen Lebens von einer Gluth und einem überwallenden Einsatz nationalen Temperamentes, die den verfassungsmässigen Leitern der Kirche früh zu denken gaben. Erzbischof Brun von Köln, der Bruder des grossen Kaisers Otto, hat schliesslich die Reclusen besonders verschärfter Aufsicht unterworfen.

Ehe indess solche Massregeln nöthig wurden, hatte die Bewegung geregeltere Bahnen gefunden: sie war in eine gewaltige Strömung umgeschlagen zu Gunsten der Reform des mönchischen Lebens.

Nirgends fasste diese Richtung früher, inniger, reicher Fuss, als in Lothringen[2]. Mancherlei Gründe trugen hierzu bei: die Nähe Frankreichs, wo schon früher als in Deutschland Bestrebungen einer Kirchenreform, vornehmlich von Cluny ausgehend, aufgetreten waren[3]; die alte Cultur des Landes, das die kirchliche Ordnung seit Jahrhunderten in sich aufgenommen; endlich der neuerliche Verfall gerade der Lothringischen Klöster, die vielfach in Laienhände gerathen waren und darum der Gegenwirkung frommer Strömungen doppelt leicht anheimfielen.

In Niederlothringen war es Gerhard von Brogne, einem Kloster des Lütticher Bisthums, der unter dem Schutze des Flandrischen Grafen Arnulf namentlich die Reform der alten Flandrischen

  1. Bischof Konrad von Konstanz war dreimal in Jerusalem: Vita Chuonr. Const. c. 7.
  2. Ueber die Lothringer Reform vgl. meinen mehrfach unbeachtet gebliebenen Aufsatz in Pick’s Monatschrift f. d. Gesch. Westdeutschlands 7, 91 ff.; 217 ff.
  3. Doch hat die Cluniacenserströmung unmittelbar selbst in dieser Periode auf Deutschem Reichsboden wohl nur auf St. Evre zu Toul stark gewirkt; Dümmler, Otto I. S. 115; Sackur, Cluniacenser 1, 157 ff.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. H. Adalbert von Prag (* um 956; † 23. April 997) war Bischof von Prag, christlicher Missionar bei den Ungarn und Prußen und Märtyrer.
  2. H. Brun von Querfurt (* um 974 in Querfurt; † 14. Februar oder 9. März 1009 in dem Grenzgebiet Preußens, Russlands und Litauens; auch Bruno, mit seinem kirchlichen Namen Bonifacius genannt), war ein deutscher Erzbischof und Missionar und der zweite christliche Apostel und Märtyrer bei den heidnischen Prußen.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_035.jpg&oldid=- (Version vom 26.1.2023)