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sich, wie wir gesehen, gerade diesen Dingen am meisten zuwandte, und als die Kirche durch die Ausbildung der Intercessionen und Suffragien für die Verstorbenen seit Gregor dem Grossen den Ort der Qual und der jenseitigen Freude unmittelbar mit der greifbaren Welt der Erscheinungen verknüpft hatte. Nichts gab es hier zwischen Himmel und Erde, das die Phantasie nicht zum erhebendsten wie quälendsten Schauer erregen konnte. Und während die früheren Generationen sich mehr mit den milderen Bildern von Himmel und Hölle beschäftigten, traten schliesslich Fegfeuer und Weltende in den Mittelpunkt aller Vorstellung.

Das Fegfeuer galt bald als Hölle der unter Milderung des Urtheils Verdammten, bald als Purgatorium; an beide Auffassungen knüpfte sich wildwuchernd eine Reihe phantastischer Bilder, deren reife Ernte Dante anheim fiel [1]. Die Vorstellungen über das Weltende aber verdichteten sich allmählich, unter Verwerfung der etwas nebelhaften Phantasien der Apokalypse zu einer wohlgeordneten Reihe plastisch gedachter Vorgänge, in denen namentlich das Auftreten des Entchrists eine Rolle spielte. Er wird erscheinen, wann der Frankenkönige letzter, der zugleich Römischer Kaiser sein wird, nach Bekehrung aller Juden freiwillig seiner Herrschaft entsagen wird. Das wird der herrlichste sein von allen Kaisern, er wird allen Götzendienst abthun, er wird alles Volk unter Christi Namen sammeln, er wird gen Jerusalem wallend und sterbend sein Reich Gott und Gottes Sohne auftragen. Dann fährt der Entchrist daher von Babylon, Sohn des grausamsten Lüstlings und der gemeinsten Dirne, Ausgeburt des Teufels durch Vermittlung der Sünde, ein Nachäffer Christi und Verführer der Menschen. Aber sein Reich ist kurz; der Erzengel Michael wird ihn tödten und Christus ihn in den Staub strecken. Und dann beginnt das Gericht.

Neben diesen dogmatischen Phantasien wuchert üppig der Heiligenglaube. Schon ist eine volle Hierarchie von Heiligen begründet und schon erhebt sich über sie alle Maria, die virgo ante partum, virgo in partu, virgo post partum, der Stern des

  1. Sehr eigenartig z. B. Vita Chuonr. Const. c. 8, SS. 4, 433: Konrad von Konstanz und Ulrich von Augsburg betrachten vom Castell Laufen aus den Rheinfall, in den sich der Strom mit furchtbarem Tosen stürzt: „in avium specie animas nondum plene purgatas illo tormenti genere cruciari per spiritum docentur“.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_031.jpg&oldid=- (Version vom 26.1.2023)