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worden ist[1], nimmt den charakteristischen Zug ins Anekdotenhafte auf. Karl der Grosse hatte den Bruder seiner Gemahlin Hildegard, Udalrich, reich mit Lehen begabt. Da starb die Königin (783), und König Karl sprach dem Udalrich wegen eines Vergehens die Lehen ab. Da rief ihm ein Spielmann zu:

Nû habêt Uodalrîh     firloran êrôno gilîh
ôstar enti uuestar,     sîd irstarp sîn suester.

Karl nahm sich das zu Herzen, soll in Thränen ausgebrochen sein und gab Udalrich die Lehen zurück.

Im Zeitalter der Ottonen blühte, ja wucherte dann die neue Dichtung; voll hatte sie gesiegt, der alte Heldensang ward hier und da geradezu verschmäht[2]. Kaum eine bedeutendere Persönlichkeit, kein wichtigeres Ereigniss gab es, dem nicht ein neues ,Sageliet‘ epische Werthung verliehen hätte. Ekkehard IV. von St. Gallen[WS 1], der liebenswürdige Chronist, will nichts erzählen vom Verrath Erzbischof Hattos[WS 2] an Adalbert dem Babenberger[WS 3], „quoniam vulgo concinnatur et canitur“; in der Geschichte Graf Konrad Kurzbolts, aus dem gegnerischen Hause der Babenberger, übergeht er absichtlich viele Einzelheiten, „quaede eo concinnantur et canuntur“; an einer dritten Stelle endlich tadelt er den Biographen des heiligen Bischofs Udalrich von Augsburg, weil er vergessen habe zu erzählen, „quae de eo concinnantur vulgo et canuntur"[3]. Die ganze Ueberlieferung unserer politischen Geschichte in den ersten Jahrzehnten des 10. Jhs., ja tief hinein noch in die Tage Ottos des Grossen, wie wir sie vornehmlich Widukind verdanken, beruht auf Auszügen aus Sageliedern, welche sich der Person Hattos von Mainz, der grossen Helden aus den Geschlechtern der Konradiner und Babenberger, König Heinrichs I., des Lothringischen Grafen Immo und Anderer bemächtigt hatten. Und noch tönt hier und da durch das Sallustische Latein Widukinds der schwere Schritt des Deutschen Rythmus; ja selbst da, wo Widukind aus Eignem schöpft und ein Historiker sein will seiner im klarsten Lichte des Tages vor ihm stehenden Zeitgenossen, verläugnet er nicht den Sohn seines Volkes, ergeht sich in episch-Deutschen

  1. Mon. Sangall. 1, c. 13, SS. 2, 736 und Müllenhoff, Denkm. Nr. 8; vgl. Scherer, Quellen-Forschgn. 12, 14–15, sowie Müllenhoff a. a. O. S. 288.
  2. Alp. de div. temp., prol.
  3. Ekkeh. IV casus s. Galli ed. Meyer v. Knonau c. 11; 50; 60.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Ekkehard (* um 980; † nach 1057 in St. Gallen) war ein mittellateinisch und althochdeutsch schreibender Gelehrter, Chronist, Dichter, Übersetzer und Glossator.
  2. Hatto I. (* um 850; † 15. Mai 913) war von 888 bis 913 Abt des Klosters Reichenau und anderer Reichsklöster, Erzbischof von Mainz (891–913) und Erzkanzler des Ostfränkischen Reiches.
  3. Adalbert der Babenberger (* 854; † 9. September 906 in Obertheres bei Haßfurt).
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_023.jpg&oldid=- (Version vom 26.1.2023)