Seite:De DZfG 1892 07 019.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

kämpfen bei ihr um die Herrschaft über die einzelnen Träger der geschichtlichen Handlung[1].

Die Anschauungen Hrotsuits, einer hochstehenden, zudem vom Hauche classischer Tradition erfassten und geläuterten Frau, offenbaren mit einem Schlage die tiefsten Gründe im intellectuellen Leben der Ottonischen Zeit: noch percipirte man nur typisch, indem man entweder die Thatsachen nur ihren äussersten Eindrücken nach verarbeitete, oder indem man mit einem äusserst einfachen, von autoritativer Ueberlieferung dargereichten Schema an sie heranging: Es ist dieselbe geistige Haltung, die auch die aesthetischen Anschauungen des Zeitalters beherrschte.


IV.

Die bildende Kunst der Germanischen Stämme hatte schon in frühen Jahrhunderten den Uebergang von der blossen Bandornamentik der Urzeit zu der wild bewegten Thierornamentik des 6. bis 8. Jahrhunderts bewältigt[2]. Die classische Reception des Karlingischen Zeitalters hatte dann diesem Fortschritte Halt und Mässigung gegeben: zwar erscheint auch in dieser Periode die Germanische Ornamentik nicht weiter, als bis zur einfachsten typischen Bewältigung des Thierleibes entwickelt, so dass nur selten sich individueller dargestellte Thiere, Adler und Löwen, Gänse und Hunde als solche unterscheiden lassen, aber doch ergeben sich die Formen als reicher in’s Einzelne durchgebildet und symmetrischer geordnet.

Zugleich aber hatte eine völlig neue Periode nationaler Kunstanschauung seit etwa Mitte des 9. Jhs. einzusetzen begonnen: an Stelle der alten Thierornamentik trat allmählich, herrlich erblühend seit der Wende des 9. und 10. Jhs., die Pflanzenornamentik der Ottonischen Zeit.

Die tiefere Grundlage dieser Ornamentik ist allerdings noch dieselbe wie die der Thierornamentik. Hier wie dort handelt es sich um die typische Auffassung der Aussenwelt; hier wie dort werden die naturalistischen Formen derselben nur in den äussersten Umrissen wiedergegeben: wie noch in der Sprache unserer Frühzeit Eiche, Esche, Föhre, Tanne neben der speziellen Baumart,

  1. Man vgl. z. B. Hrots. Gesta Odd. Vers 163, SS. 4, 318 ff. Für Thietmar s. Buch VII, c. 33, auch IV, c. 47; 48. Aus späterer Zeit bieten die Ann. Corb. z. J. 1146, SS. 3, 13, Z. 43, noch eine sehr charakteristische Aeusserung.
  2. S. Lamprecht, Deutsche Geschichte Bd. I, S. 334 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_019.jpg&oldid=- (Version vom 26.1.2023)