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Eid schwören und sein Versprechen halten wird: das möge mir Gott helfen und diese heiligen Reliquien. Es liegt hier eine reciproke Auffassung gegenseitiger freundschaftlicher Beziehungen vor, die äusserlich noch völlig rechtlich gebunden erscheint. Es ist nur ein Beispiel für die Auffassung sittlicher Verpflichtungen während der Stammeszeit überhaupt[1].

So war die Schenkung des 6. bis 8. Jahrhunderts stets eine Vergabung auf eventuelle Rückforderung im Fall der Undankbarkeit des Beschenkten[2], sie hatte also thatsächlich ein rechtlich gebundenes Verhältniss zwischen Beschenktem und Schenkgeber zur Folge; nie war sie ein Ausfluss sittlich völlig freier Regung[3]. Dem entsprechend hält das Deutsche Recht bis tief ins Mittelalter hinein fest an dem Grundsatz der Entgeltlichkeit aller Verträge: jede an sich noch so unentgeltliche Leistung verlangte, um rechtsbeständig zu werden, eine wenn auch noch so unbedeutende Gegenleistung im Sinne eines Handgeldes.

Nirgends ist diese Reciprocität der sittlichen Begriffe klarer ausgeprägt und stärker betont, als in der Construction des speciell Germanischen Begriffs der Treue. Treue im Sinne des frühen Mittelalters ist als einseitige Leistung überhaupt undenkbar: stets setzt sie das formell in bestimmtester Weise geregelte Entgegenkommen Dessen voraus, dem Treue geleistet wird. Wir können diese doppelte Wirkung des Begriffs noch heute in dem Worte ,hold‘ übersehen. ,Hold‘ bedeutet zunächst nach unserem Sprachgebrauch soviel als huldreich von Seiten eines Höherstehenden. In der archaischen Formel „hold und getreu“ dagegen wird das Wort auch noch von den sittlich-rechtlichen Verpflichtungen des Niedrigerstehenden angewandt: hier hat sich die doppelte Wendung des Begriffes hold, entsprechend seiner reciproken Stellung im Mittelalter erhalten.

Bei einer solchen Ausprägung der sittlichen Begriffe liess es sich kaum vermeiden, dass der Sprachgebrauch vielfach Wörtern,

  1. Man vgl. Thietm. prol., SS. 3, 733: ius fraterni amoris (Liebe nach Bruderart); Vita Bald. Leod. c. 21: humanitatis obsequium; ebd. 23: humanitatis et honoris officium. Sehr merkwürdig ist der Gebrauch von ius bei Richer 1, c. 27–30; 37. 2, 11. 4, 31; 44.
  2. Vgl. Brunner, die Landschenkungen der Merowinger und der Ludolfinger, Sitzungsberr. der Berliner Ak. III, 1885; sowie Menzel, Entstehung des Lehnswesens S. 40 f.
  3. Man vgl. dazu Cod. Carol. Nr. 26 (763); Ep. Carol. Nr. 24 (802–810), Jaffé S. 388; aus späterer Zeit Brun. Bell. Saxon. Prol., SS. 5, 329.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_012.jpg&oldid=- (Version vom 26.1.2023)