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Erfolg zu unterdrücken, selbst gegen die kernhafteste Einrichtung alles Geschlechtsverbands, gegen die Blutrache, wagt Karl der Grosse den Angriff[1]. Freilich blieb er erfolglos, nicht minder wie die umfangreiche Gesetzgebung der Kirche, die vergebens nicht bloss den Germanischen Geschlechtsverband, sondern auch die Deutschen Vorstellungen von Familie und Ehe überhaupt zu Gunsten geistlich-Römischen Rechts zu unterdrücken suchte[2].

Gleichwohl stand als Ergebniss aller feindlichen Einflüsse im 10. Jh. fest, dass die alte Geschlechtsverfassung bis auf unzusammenhängende Ueberreste beseitigt war; im Sachsenspiegel[WS 1] des 13. Jhs. zeigen sich nur noch geringe und archaische Spuren eines Verständnisses für den einst so wichtigen Unterschied zwischen Familie und Geschlecht[3]. Im Uebrigen hatte sich schon seit Karlingischer Zeit aus der Umhüllung des Geschlechtes die Familie als eigentliche Urzelle des Volkslebens herausgeschält: ihre Verfassung beherrscht von nun ab die persönlichen Schicksale unserer Ahnen.

Doch war die Familie des Stammesstaates noch unendlich verschieden von der unserer Zeiten. Schon die Vorgänge bei der Begründung wichen von den heutigen noch völlig ab. Bei Thüringern, Sachsen und Friesen finden sich noch Resterscheinungen des Brautkaufes, und überall tritt die Braut noch nicht selbständig, als Vertragsschliesserin, in die Ehe, wenn es ihr auch gestattet wird, die Zustimmung formlos zu äussern: der eigentlich vertragschliessende Theil bleibt ihr Vater oder Vormund. In der Ehe selbst aber ist der Mann noch Herr in alter Weise; sein eheherrlicher Schutz erstreckt sich gleichmässig über Frau, Kinder und Gesinde, und er ist streng bis zum Recht der Tödtung und Verknechtung der Kinder sowie des Heirathszwangs gegen die Töchter. Dabei hört er keineswegs etwa für die Söhne bei erreichter Volljährigkeit auf: erst der Sohn, der eigenes Vermögen besitzt, tritt aus dem Schutz- und Herrschaftsbereich des Vaters.

Es hängt das mit der Construction der wirthschaftlichen Grundlagen des Familienlebens zusammen. Eine breite ökonomische Basis, die die Individualisirung des Familienvermögens, seine Zertheilung in Einzelvermögen der Frau und der Kinder gestattet, wird immer nur hohen Culturen angehören. Hierzu waren

  1. Doch vgl. für den Misserfolg u. a. Rod. Glaber, Vita Wilhelmi c. 2.
  2. Man vgl. noch Vita Adelb. II Mett. c. 16 (1005), dazu Thietm. 6, c. 21.
  3. Vgl. Sachsensp. I, 3 § 3.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Der Sachsenspiegel gilt als bedeutenstes und ältestes Rechtsbuch des deutschen Mittelalters.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_009.jpg&oldid=- (Version vom 26.1.2023)