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verändertem Rechtsboden entwachsen, noch nach der Zugehörigkeit zu bestimmten Stämmen gruppiren.

In der Verfassung freilich war um diese Zeit die unmittelbare Bedeutung der Stämme schon fast gänzlich beseitigt. Bereits in den späteren Jahren der Ottonen wurde Lothringen in zwei Herzogthümer getheilt, in Sachsen das Herzogthum der Billunger geschaffen, das dem Stammesumfang nicht mehr entsprach, endlich Kärnthen, ein Colonialland, zum Herzogthum erhoben. Dem folgten unter Saliern und Staufern eine Fülle weiterer Theilungen und Erhebungen kleinerer Herrschaften zu herzoglicher Würde: Herzogthum und Stammesgebiet entsprachen sich seit dem Ende des 12. Jahrhunderts der Regel nach nicht mehr. Für die Ausgestaltung des Kurfürstencollegiums in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, der wichtigsten verfassungsmässigen Neuschöpfung dieser Zeit, hat dann die Rücksicht auf die Vertretung der Stämme nur noch mittelbar Bedeutung gehabt.

So ist das 10. Jahrhundert die letzte und höchste Blüthezeit jenes grossen Abschnittes unserer nationalen Entwicklung, der sich an das politische Eigenleben der Stämme knüpft. Nur langsam hatten diese Stämme sich in den Wellen der Völkerwanderung gebildet; erst im 7. Jahrhundert hatten sich ihre Herzogthümer überall innerhalb Deutscher Grenzen stärker entwickelt; nicht vor dem 8. Jahrhundert waren sie des völkerschaftlichen Sondergeistes innerhalb ihrer einzelnen Gaue Herr geworden. Dann, als ihre grosse Zeit schon zu nahen schien, waren sie untergetaucht in der Hochfluth des Karlingischen Universalreiches.

Aber mit nichten waren sie von ihr zerschellt worden oder versandet. Als das grosse Reich zerfällt und die Sondergewalten rechts des Rheines wieder emportauchen, da finden wir sie wohl inzwischen verändert und entwickelt, aber weder uniformirt noch geknickt. Noch haben wir es mit individuellen, greifbar verschiedenen Staatsbildungen, wenn auch des gleichen Typus zu thun. In Sachsen erscheint der Herzog noch mehr als Gleicher unter Gleichen, es giebt keine herzoglichen Hoftage, sondern nur Landtage der Grossen zur Regelung der Stammesangelegenheiten; in Baiern dagegen ist der Hoftag zu Regensburg, der Residenz des Herzogs, auch Landtag, und späterhin erscheint der Herzog als Lehnsherr fast aller Grossen des Stammes.

Neben dieser Individualisirung der Stammesverfassungen –

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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_004.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2023)