Seite:De DZfG 1891 06 316.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

sei“. Wie sehr sich Delbrück von seiner Meinung treiben lässt, beweist seine Aeusserung S. 6: „Lambert ignorirt das Aufruhrdecret vom Jahre 1075, welches die Messen der verheiratheten Priester für ungültig erklärt, weil es mit seiner Auffassung unvereinbar ist: ein Recht zu dieser Massregel kann er dem Papst nicht zuschreiben, ein Unrecht will er bei ihm nicht finden“. Uebrigens handelt Lambert sehr wohl von diesem Decret und gesteht dem Papste ein Recht hierzu vollständig zu[1].

Eine neue Ansicht äusserte J. v. Pflugk-Harttung, der zum ersten Male auf Lambert’s „Einfältigkeit und Gedankenlosigkeit“ hinwies[2]. Wenn dem unten angeführten Urtheile auch nicht in allen Punkten beizupflichten ist, so scheint mir damit doch im wesentlichen das Richtige getroffen. Freilich ist unserem Autor, wie aus unseren bisherigen Erörterungen hervorgeht, eine über das Mittelmässige hinausgehende Verstandesanlage nicht abzusprechen. Eine schriftstellerische, historiographische Befähigung, die sich in der Wiedergabe des einzelnen Ereignisses, in der häufig dramatischen Ausgestaltung, in der Lebendigkeit der Anschauung trotz der endlosen Wiederholungen und der Verwendung typischer Vorstellungen erkennen lässt, fehlt ihm aber gänzlich, sobald man sich von der Detailschilderung hinweg zu dem Gesammtaufbau, zu einem Ueberblick der ganzen Annalen wendet. An einer durchgreifenden Gesammtauffassung

  1. p. 163: Hildebrandus – – – decreverat, ut secundum instituta antiquorum canonum presbiteri uxores non habeant, habentes aut dimittant aut deponantur, nec quisquam omnino ad sacerdotium admittatur, qui non in perpetuum continentiam vitamque coelibem profiteatur. Hoc decreto per totam Italiam promulgato, crebras litteras ad episcopos Galliarum transmittebat.
    p. 192: anno 1075. apostolicae sedis litteras et mandata deferens, quibus ei – – – praecipiebat – – – ut presbiteros omnes – – – cogeret, aut in praesentiarum coniugibus renunciare, aut se in perpetuum sacri altaris ministerio abdicare.
  2. NA XIII p. 277: Lambert lässt sich stets vom Einzelnen leiten, wenn es auch anderem schnurstracks entgegenläuft. Er nimmt auch gar keinen Anstoss, sich mehr oder weniger zu widersprechen, die in der Gesammtwirkung unwahrscheinlichsten Dinge aufzutischen. Auch hier zeigt sich zu viel Kleben am Einzelnen, zu viel Scharfsinn, wenn man dem Autor immer gleich bewussten Betrug vorwirft. Man sollte vielmehr seine Einfältigkeit und Gedankenlosigkeit betonen.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1891, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1891_06_316.jpg&oldid=- (Version vom 23.1.2023)