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fehlen und die sich über entgegenstehende Thatsachen hinwegsetzen. Das ist von jedem der beiden Theile der Theorie zu erweisen.




1. Weil das Kreuz, das Symbol des Markt- und Stadtrechts, nachweislich das Leibzeichen des Königs ist, soll man nach volksrechtlicher Anschauung den König als anwesend in der Stadt betrachtet und gemäss dieser Vorstellung die aus der Anwesenheit des Königs folgenden Rechtswirkungen haben eintreten lassen. Es handelt sich hier also um das, was technisch eine Rechtsfiction zu nennen wäre[1]. Das Vorhandensein einer solchen Fiction lässt sich auf verschiedene Weise darthun. Entweder documentirt sich die betreffende Rechtsanschauung und -überzeugung in irgend welchen Quellen der Zeit direct ausgesprochen oder indirect angedeutet – davon ist im vorliegenden Fall nicht die Rede, nicht die geringste Spur derart findet sich in den Quellen. Oder dieselbe ergibt sich ohne Weiteres aus den bei dem betr. Rechtsakt vorkommenden Symbolen, d. h. im vorliegenden Fall, es ergäbe sich ohne Weiteres, dass ein Abzeichen der königlichen Person und Autorität die Anwesenheit des Königs mit den entsprechenden Rechtswirkungen bedeute – auch davon kann hier nicht die Rede sein. Zwar werden wir einräumen, dass durch ein solches Abzeichen irgendwie die persönliche Autorität des Königs als gegenwärtig vorgestellt werde, aber dies kann auf sehr verschiedene Weise, in verschiedener Richtung und in verschiedenem Grade geschehen: z. B. sagt das Magdeburger Stadtrechtsbuch an einer Stelle, die noch weiterhin zu besprechen ist, das Kreuz werde errichtet, auf dass man sehe, es sei des Königs Wille; es lässt sich also keineswegs ohne Weiteres aus der Anwendung jenes Symbols schliessen, dass man die damit verbundenen Vorstellungen bis zur Fiction der Gegenwart des Königs in Person nebst deren Folgen getrieben habe, sondern das wäre erst anderweitig zu beweisen. Endlich lässt sich die Existenz

  1. So bezeichnet es auch J. E. Kuntze in seiner Schrift: Die Deutschen Stadtgründungen u. s. w. (1891) S. 52. Sohm sagt allerdings wiederholt „der König ist in der Stadt“, will damit aber ohne Zweifel doch nicht behaupten, dass man gemeint habe, der König sei faktisch anwesend, sondern gebraucht diese pointirte Wendung nur, anstatt den Sachverhalt genauer auszudrücken: man sah es so an, als ob der König in der Stadt anwesend sei.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1891, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1891_06_260.jpg&oldid=- (Version vom 21.1.2023)