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ausgeführt hatte. Denn in Frankfurt a. O. sind ihm die Abhandlungen der Berliner Akademie wohl kaum zugänglich gewesen. Die oben mitgetheilte Aufzeichnung aber wäre alsdann noch vor der Bekanntschaft mit Humboldt’s Aufsatz niedergeschrieben worden.

Künstlerische und philosophische Studien hatten den einen, theologische und philosophische Studien den andern unabhängig von jenem zu den gleichen Ergebnissen geführt, und Ranke durfte es mit Recht lächerlich finden, dass man ihm Mangel an philosophischem oder religiösem Interesse vorwerfe, „da es just dies sei, und zwar ganz allein, was ihn zur Historie getrieben habe“[1]. Aber während Humboldt noch immer um den ihm gebührenden Platz in der Geschichte der Philosophie ringt, den sein Freund Schiller, obwohl die ganze neuere Aesthetik auf der Schrift über naive und sentimentalische Dichtung fusst, erst seit Tomaschek’s und Kuno Fischer’s Untersuchungen eingenommen hat, wird Ranke, auch darin Goethe vergleichbar, dort keinen Platz für sich beanspruchen dürfen, so nothwendig es auch zum Verständniss seiner Person und seiner Wirksamkeit immer sein wird, sich über seine Stellung zur Philosophie klar zu werden. Wer die literarischen Capitel der römischen Päpste oder in der englischen Geschichte die Abschnitte über die Staatsrechtslehrer von Bacon bis Locke gelesen und genossen hat, der theologischen Erörterungen in der Reformationsgeschichte und im vierten Bande der Weltgeschichte ganz zu geschweigen, der wird sich gewiss nicht erdreisten, dem grossen Historiker, wie es der schon einmal genannte Jesuit gewagt hat, philosophische Begabung abzusprechen. Nur darf man darum von ihm nicht die selbständige Einsicht in die Entwicklungsgeschichte der neueren Philosophie verlangen, wie sie allein durch eigene Arbeiten auf diesem Gebiete erworben werden kann. Da wo sich Philosophie und Theologie begegnen, brachte er jener das ganze Verständniss eines gründlichen tiefsinnigen Theologen entgegen, und wiederum da wo Philosophie und Geschichte sich berühren, wies er, weil er sicher auf eigenem Grund und Boden stand, alle unbefugten Uebergriffe der andern Disciplin auf historisches Gebiet zurück. Philosophie und Geschichte in der Weise zu

  1. An H. Ritter. Venedig 6. Aug. 1830. Lebensgesch. 238.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1891, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1891_06_255.jpg&oldid=- (Version vom 22.1.2023)