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Ernstes vorwerfen konnte[1], er leugne die Vorsehung. Für Lorenz aber scheinen Hegelianismus und Idealismus gleichbedeutende Begriffe zu sein. Denn er findet, das scheinbare Uebergreifen einer idealistischen Voraussetzung in die reale Entwicklung sei bei Ranke nichts als eine Redeweise.

Nun hat allerdings Humboldt gesagt, Planmässigkeit dürfe nicht vorausgesetzt werden, „wenn nicht ihr Aufsuchen die Ergründung der Thatsachen irre führen solle“. Allein die Antinomie ist doch bei ihm wie bei Ranke eine nur scheinbare. Vollkommene Voraussetzungslosigkeit gibt es in historischen Dingen nun einmal nicht, und man hat es daher der idealistischen Geschichtsphilosophie nicht so sehr zum Vorwurf gemacht, dass sie von bestimmten Voraussetzungen ausgehe, als dass sie in willkürlicher Vertauschung der Methoden ihre metaphysischen Voraussetzungen bald da, bald dort in empirische Entwicklungsreihen einschmuggle. Indem aber Humboldt und Ranke die Ideen als die Wegweiser zum Göttlichen und Ewigen benutzten, geriethen sie gleichwohl niemals auf die Abwege der Fichte, Schelling und Hegel, weil jener sich der Ideen nur innerhalb der natürlichen Causalität bemächtigte, dieser die Ereignisse allein aus menschlichen Motiven erklärt wissen wollte. Wie weit der Historiker die als Richtungen und Krafterzeugungen erkennbaren Ideen im Allgemeinen und in jedem besonderen Falle als Wegweiser in transcendentale Regionen benutzen oder einer mechanischen Erklärung den Vorzug geben wird, hängt ganz und gar von seiner Weltanschauung ab, und Humboldt und Ranke gingen als Söhne des 18. Jahrhunderts darin vielleicht weiter wie die folgenden Generationen. Aber die bescheidene Forderung Humboldt’s, dass der Historiker nicht alles allein in dem materiellen Stoffe suchen dürfe und wenigstens den Platz zu einer Wirkung der Ideen offen lasse, haben die besten doch alle erfüllt.

Anders steht es mit der Frage, deren Erörterung Treitschke

  1. E. Michael, Ranke’s Weltgeschichte. Eine kritische Studie. Paderborn 1890. S. 20. Michael folgert dies aus R.’s Einwänden in den „Epochen“ gegen eine im Sinne der Prädestinationslehre gedachte Erziehung des Menschengeschlechts. „Alle diese höchst unreifen Speculationen verrathen einen logisch wenig geschulten Kopf. Nur das steht fest, Ranke mag von einer Vorsehung nichts wissen!“
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1891, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1891_06_253.jpg&oldid=- (Version vom 22.1.2023)