Seite:De DZfG 1891 06 243.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Anwendung dieses Grundprincips auf die Geschichte lasse dann keine andere Möglichkeit zu, als in der Menschheit den werdenden Gott zu sehen, der sich durch einen in seiner Natur liegenden geistigen Process selbst gebäre[1].

Man hat die Spuren Hegel’scher Gedanken bei Ranke häufig verfolgt und sie mühelos namentlich in der Definition der Weltgeschichte gefunden. Wesentlicher will es mir scheinen, dass Ranke, seitdem er Hegel gelesen hat, weit energischer wie früher die Berechtigung der philosophischen Methode betont.

Dove hat unter Betrachtungen allgemeineren Inhalts auch eine Aufzeichnung aus den Jahren 1831 bis 1849 mitgetheilt[2], welche, wenn ich recht vermuthe, unmittelbar nach beendeter Lectüre der Geschichtsphilosophie Hegel’s niedergeschrieben wurde. Da sie für den Gang unserer Untersuchung von eingreifender Bedeutung ist, so müssen wir sie hier unverkürzt einrücken. Sie lautet: „Philosophie der Geschichte. Die Forderung ist unabweisbar, natürlich, menschlich, erhaben, schwer. Wer die inneren Fäden des Getriebes der Menschheit, diesen in ihr selber sich entwickelnden und zum Vorschein kommenden Geist zu erkennen vermöchte, würde einen Theil der göttlichen Wissenschaft besitzen. Allein ist das so geschwind möglich? Aus der Tiefe der eingehendsten. Kenntniss allein ist es möglich, seine geheimen Spuren zu entnehmen. Der Unterschied der philosophischen und historischen Schule ist ganz allein, dass jene aus einer geringfügigen, oberflächlichen Kenntniss, die alles vermengt, mit keckem Finger erzwungene Resultate ableitet, diese dagegen die Dinge in ihrer Wesenheit zu begreifen sucht, ihrem Zuge nachgeht und, eingedenk der Unvollkommenheit der Ueberlieferungen, die höchsten Ergebnisse ahnen lässt. Das ganze Vergnügen ihres Studiums ist, die geistige Ader der Dinge zu verfolgen.“

Die Aufgabe des Historikers im höchsten und reinsten Sinne ist damit umschrieben, und dies auf eine Weise, dass jedem Leser sofort Humboldt’s Abhandlung dabei einfallen wird. Ehe ich jedoch zu der Erörterung des Verhältnisses beider Denker schreite, muss ich auf eine von Lorenz bereits im ersten Theile der „Geschichtswissenschaft“ (S. 268) aufgestellte Behauptung

  1. Epochen S. xj f. und 1. Vortrag.
  2. Lebensgeschichte S. 569 f.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1891, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1891_06_243.jpg&oldid=- (Version vom 22.1.2023)