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so gut wie Fichte trifft, schon darum ausgeschlossen, weil der Zusammenhang der angezogenen Stelle nur die Bezugnahme auf Fichte’s „Grundzüge“ zulässt.

Immer ist es im ersten Jahrzehnt seiner akademischen Thätigkeit Fichte’s Philosophie, welche dem Historiker als ein Beleg irreführender Methode dienen muss. In der Staatslehre des Philosophen bemerkt Ranke dieselben Mängel wie in der Geschichtsphilosophie desselben[1]. Welche Mühe gebe sich nicht Fichte, um auf philosophischem Wege nachzuweisen, dass das Entstehen verschiedener Staaten nothwendig war, aber indem er von der leeren Staatsidee ausgehe, gelange er niemals zur Anschauung und Würdigung des Ursprünglichen und zwar eben darum, weil es „aus der allgemeinen Theorie keinen Weg zur Anschauung des Besonderen gebe“. Auch auf diesem Gebiete glaubt Ranke, „werde man sich erst durch umfassende historische Untersuchung und Combination zu ahnender Erkenntniss der in der Tiefe waltenden, Alle beherrschenden geistigen Gesetze erheben“ und die echte Politik müsse daher eine historische Grundlage haben.

Wie nachhaltig der Eindruck der Fichte’schen Philosophie auf Ranke gewesen ist, beweisen gerade jene kritischen Auslassungen, und ich glaube daher nicht zu irren, wenn ich mir eine Lieblingsidee Ranke’s aus seinem Gegensatze zu Fichte hervorgegangen denke. Es ist zur Genüge bekannt, wie der Redner an die Deutsche Nation die Deutschen als das Urvolk der neueren Geschichte geschildert hat. Die ungeheure Einseitigkeit, mit welcher Fichte die Germanische über die Romanische Rasse stellte, forderte zum Widerspruche geradezu heraus, und wenn Philosophen wie Herbart mit ihren Bedenken nicht zurückhielten, so konnte sich ein historisch denkender Kopf noch weniger mit den wunderlichen Ansichten des Philosophen befreunden. Noch drei Jahre zuvor hatte Fichte die Kreuzzüge als die grossartigste Unternehmung der gesammten abendländischen Christenheit dargestellt. Hätte er nach den Gründen geforscht, wesshalb man die christlichen Völker Europas in jenem Zeitalter gleichsam wie einen einzigen Staat ansehen kann, so würde er sie in der gemeinsamen

  1. Politisches Gespräch. Historisch-politische Zeitschrift 2. (1836), S. 775 ff; jetzt Werke 49/50, S. 324 f.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1891, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1891_06_240.jpg&oldid=- (Version vom 22.1.2023)