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dieselbe der vollen Erkenntniss der Wahrheit und insbesondere dem Verständnisse der Persönlichkeiten, deren Individualität denn doch wohl, wie O. Lorenz in seinen geistreichen Büchern über die Geschichtswissenschaft betont, das wichtigste Element in den Entwicklungen bildet, näher bringen.

Der Gedanke, die naturwissenschaftliche Methode der Geschichtsforschung anzueignen, ist ja nun keineswegs neu und grundsätzlich dürfte seine Berechtigung sogar allgemein anerkannt sein. Mit seiner Verwirklichung ist indess nur selten rechter Ernst gemacht worden. Diese setzt ja äusserst mühsame und ausgedehnte Vorarbeiten voraus und macht desshalb zugleich die rasche Gewinnung und Veröffentlichung von Ergebnissen unmöglich. Sie erheischt ferner eine starke Zurückdrängung der Individualität des Forschers und wehrt den Genuss, grosse Zeiträume mit kühnem Fittig zu durchfliegen und die frisch aufschwellende Gedankenfluth in vollem Gusse ausströmen zu lassen. Obendrein ist sie auch durch die Befähigung, sich ganz in fremde Gedankenkreise und Persönlichkeiten einzuleben, bedingt, und diese Gabe lässt sich nicht durch den Drill eines wohlgeleiteten Seminars erwerben, sondern muss angeboren sein und durch mühselige Selbstzucht entwickelt werden. Endlich erfordert sie, obwohl ihre feste Grundlage durch die Erforschung von Einzelheiten gewonnen wird, eine gewisse Vertrautheit mit der ganzen Geschichte und mit dem menschlichen Leben, denn erst aus dem Vergleich mit den Erscheinungen in diesem und in jener kann das volle und sichere Verständniss für die Vorgänge und Persönlichkeiten auch eines enger umgrenzten Schauplatzes erwachsen, ja wo die Quellen dürftig fliessen, wird oft ausschliesslich der Parallelismus in der Menschheitsentwicklung den Schlüssel zur inneren Werkstätte der Geschichte bieten.

Aus diesen Gründen, von welchen die einen hier, die anderen dort wirksam waren, möchte es zu erklären sein, dass sowohl die genialen wie die nichtgenialen Geschichtschreiber sich der naturwissenschaftlichen Forschungsweise in der Regel enthalten haben.

Die grössten Schwierigkeiten stellen sich ihrer Anwendung auf dem Gebiete des Alterthums und Mittelalters durch die Dürftigkeit und Einseitigkeit der Quellen entgegen. Nicht geringe Hindernisse findet sie indess auch auf dem Gebiete der neueren und

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1891, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1891_06_042.jpg&oldid=- (Version vom 5.1.2023)