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Die herrschende Ansicht lässt den modernen Staat in continuirlicher Folge aus dem mittelalterlichen Staate hervorgehen; der Uebergang vollzieht sich gleichsam im Rahmen des geltenden Fränkischen Rechts: aus dem Rechte der Salischen Bauern wird ein Recht, welches den Bedürfnissen städtischer Cultur, auf die sich das moderne Leben gründet, zu genügen vermag.

Diese letzte Anwendung des Receptionsgedankens hat mir von vornherein nicht eingeleuchtet. Sie widersprach meiner Vorstellung von dem Zusammenhang der Verfassung eines Volkes mit seiner Cultur. Die Formen des öffentlichen und privaten Rechts, meinte ich, seien abhängig davon, wie das Volk lebt, vor allem davon, wie es die einfachsten Bedürfnisse befriedigt, also, wie es geniesst und wie es arbeitet, um zu geniessen. Da schien es mir nun nicht wahrscheinlich, dass ein Kleid, welches dem Bauern und dem Lehnsherrn gepasst hat, nun auch dem Handwerker und dem Kaufmann gepasst haben sollte. Der Städter braucht einen neuen Rock aus anderem Tuche als der Bauer, dem sein Leinenkittel genügt, und auch das ritterliche Wams wird ihm nicht zusagen.

In dieser Vorstellung wurde ich durch Schmoller bestärkt. Da ich mich damals für die Frage nach dem Ursprung der Deutschen Stadtverfassung interessirte, gab mir Schmoller die Anregung, dem nachzuforschen, wann und wie das feudale Beamtenthum in den Deutschen Städten durch Beamte mit Geldbesoldung ersetzt worden sei. Schmoller mochte wohl der Ansicht sein, dass sich auf den Gegensatz von Nationalwirthschaft und Geldwirthschaft der entscheidende Umschwung zurückführen lasse, der den mittelalterlichen Bauernstaat von dem modernen Staate trennt.

Indem ich diesen Gedanken mit dem Receptionsgedanken combinirte, schloss ich, dass der moderne Staat ein passenderes Vorbild in dem antiken geldwirthschaftlich organisirten Staatswesen gefunden haben möchte, als in dem feudalen Staate des Mittelalters. Wenn das moderne Leben in Kunst und Wissenschaft, wenn es in dem Privatrecht an die Ueberlieferung der Antike anknüpft, sollte sich nicht auch auf staatlichem Gebiete eine Periode der Renaissance nachweisen lassen?

Als ich nun in einer Chronik von Bari den Griechischen Strategen als bajulus bezeichnet fand, glaubte ich die Brücke

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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1891, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1891_05_023.jpg&oldid=- (Version vom 13.10.2022)