Seite:De DZfG 1890 04 357.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

auf. In dem plastischen Schmucke derselben offenbaren sich ein Stil wie eine Technik, die nur an die Antike erinnern, mit Rücksicht auf die gleichzeitigen wie früheren Denkmäler Toscanas völlig neu erscheinen. Um so berechtigter die Frage nach der Herkunft dieses Meisters. Darüber freilich konnte kein Zweifel bestehen: Zur Zeit seines Auftretens in Toscana war Nicola ein Bürger Pisas. Aber woher er dorthin gekommen, wo er den Unterricht empfangen, der ihn zu seinen im Vergleiche mit den Sculpturen Pisas wie überhaupt Toscanas grundverschiedenen, technisch weit vollkommeneren Werken befähigte, ist Gegenstand einer bis jetzt ungelösten Streitfrage[1]. Nach der Ansicht der Einen sei er aus Süditalien nach Pisa gewandert. In einer der reichen Handels- und Industriestädte Apuliens, etwa in Bari oder Trani, wo eine rege Kunstthätigkeit seit Alters her bestand, mochte er zu Beginn des 13. Jahrh. zur Welt gekommen sein. Die aus den verschiedensten Elementen des Orientes wie Occidentes erwachsene, aber einheitliche, Normännisch-Staufische Cultur, innerhalb welcher schliesslich mit Friedrich II., der Auffassung dieses Kaisers von seinem Imperium entsprechend und unter ähnlichen Bedingungen wie unter Theodorich d. Gr., Karl d. Gr., den ikonoklastischen Kaisern von Byzanz, die classische Kunst in ihren Resten der Nachahmung für werth erachtet wurde, schien die nothwendige Voraussetzung und Erklärung für Nicola’s antikische Art zu gewähren. Der Niedergang der Staufischen Hegemonie im Süden seit 1250 hätte die Auswanderung des Meisters (wie auch vielleicht schon seines Vaters) nach Toscana und speciell nach der Stadt bewirkt, welche mit dem Süden die allerintimsten Beziehungen unterhielt, nach Pisa[2]. Diese Ansicht schien Bestätigung zu finden durch eine urkundliche Notiz im Staatsarchive zu Siena vom 11. Mai 1265 (st. c.): frater Melanus – requisiuit magistrum Nicholam Petri de Apulia cet[3]. Der Gegenmeinung

  1. Ein näheres Eingehen auf die kunsthistorische Seite der Frage wurde mir durch die Redaction abgeschnitten; ich muss dafür nun auf mein Buch über die Stauferkunst, an dem ich arbeite, verweisen. Die oben folgenden Bemerkungen sollen nur andeuten, in welchen wichtigen Zusammenhang die an sich so unbedeutende Frage, ob ein Ort Apulia (Pulìa) bei Lucca existirt habe, und ob dorther Nicola Pisano stamme, eingreift.
  2. In Pisa mag eine Kolonie Apulier bestanden haben, wie sich umgekehrt in den Städten der Ostküste Italiens Pisaner angesiedelt hatten. Daher das Vorkommen von Apuliern in Pisanischen Urkunden, z. B. eines Simone de Apulia a. 1205 im consilium Azzone’s (ed. Zdekauer e Chiappelli).
  3. Diese Stelle etwa durch die Annahme eines vom Notar Ugone del fu Ciano verschuldeten Schreibfehlers beseitigen zu wollen, wozu, wie ich weiss, Neigung besteht, geht nicht an. Ich habe die Urkunde wiederholt
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1890, Seite 357. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1890_04_357.jpg&oldid=- (Version vom 17.9.2022)