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falschen Interpretation ganz weniger Urkunden. Man kann es nur Fanatismus nennen, wenn Köhne in der bekannten Quedlinburger Urkunde von 1040, welche auch nicht die mindeste Andeutung darüber enthält, wieder ein Gildeprivileg sieht[1]. Was sodann die Bedeutung der Kirchspiele für die Stadtverfassung betrifft, so erklärt Köhne meine Aeusserung, dass ländliche Gemeinden ihre Kirchspielskirchen in Städten haben, für eine „ganz sinnlose Behauptung“. Köhne weiss also nicht, dass in alter wie neuer Zeit sehr viele Landgemeinden Glieder städtischer Kirchspiele sind[2]. Trotzdem ihm aber die einfachsten Kenntnisse auf diesem Gebiete fehlen, ergeht er sich in endlosen Ausführungen über die Bedeutung der Kirchspiele für die Stadtverfassung[3]. Im Einzelnen auf die betreffenden Ansichten Köhne’s einzugehen, ist hiernach überflüssig. Nur Eins will ich hervorheben. Nach Köhne wurde durch „die Betheiligung an der Kirchenverwaltung das communale Leben in den Parochien gestärkt“[4]. Dazu ist zu bemerken, dass erstens die Selbständigkeit auf kirchlichem Gebiet nicht im Mindesten die Selbständigkeit auf einem anderen Gebiet zur nothwendigen Folge hat, dass zweitens Betheiligung der Laien an der Kirchenverwaltung durchaus keine Besonderheit der Städte ist. Die Theorie von dem angeblichen „Verschieben schöffenbarer Leute“ endlich habe ich bereits in meiner „Stadtgemeinde“, S. 120 ff., ausführlich erörtert. Diese Theorie, welche Höniger durch eine missverstandene Andernacher Urkunde von 1171 stützen will, beruht auf der Voraussetzung, dass diejenigen Städter, welche Landgüter besassen, keinen Handel trieben[5] und – arm waren!!

Dass Köhne sich diesen Theorien Höniger’s ohne Prüfung anschliesst, ist gewiss kein Zeichen von reifem Urtheil. Und das letztere vermisst man auch sonst bei Köhne. S. 1 bezeichnet er als den Kernpunkt der städtischen Entwicklung den Uebergang öffentlicher Rechte auf die Stadt; denn „communale Entwickelung finden

  1. Sohm (a. a. O. Anm. 85. 102 und 149) verwirft selbstverständlich die Gildetheorie.
  2. Ueber die kirchliche Zugehörigkeit von Allensbach, nach dessen Privileg K. die Verfassung von Mainz zuschneidet, s. Schulte a. a. O. S. 156.
  3. Uebrigens halte ich jene angeblich „ganz sinnlose Behauptung“, dass die Kirchspielskirchen grössere Bedeutung für das Aufkommen der Städte als die Frohnhöfe haben, vollkommen aufrecht. Ich erinnere an die bekannte Thatsache, dass unter den verschiedenen zu einem Kirchspiel gehörigen Dörfern das Dorf, in dem die Kirche stellt, stets den stadtähnlichsten Charakter hat.
  4. Dass dieser Gedanke auch von Höniger stammt, ersehe ich aus Baltzer’s Notiz in den GGA 1889 S. 626 Anm. 4.
  5. Vgl. dagegen z. B. Reinhold, Verfassungsgeschichte Wesel’s S. 46.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1890, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1890_04_118.jpg&oldid=- (Version vom 18.10.2022)