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Jüngling die Phantasiegebilde ihrer Dichter vor sein geistiges Auge und belehren ihn, noch bevor ihm „der Menschheit ganzer Jammer“ in der rauhen Wirklichkeit des Lebens aufgegangen sein kann, über „die Nichtigkeit und das Leiden dieses Lebens“. So sehen wir bereits den Achtzehnjährigen bei dem consequenten Pessimismus angelangt, gegen welchen sich der doch ganz anders vom Leben geschüttelte Verfasser der „Confessions“ bis zum letzten Athemzuge gesträubt hat, ja selbst jene vom modernen Standpunkte so hochbedeutsame Zuspitzung seiner Kunstlehre, nach welcher uns in der Musik „ein unmittelbarer Widerhall des Ewigen“ geblieben ist, wird für den genannten Zeitpunkt durch einen Brief an seine Mutter bezeugt[1]. Als er dann dem Kaufmannsstande entsagt und nach kurzer Vorbereitung 1809 die Universität bezieht, vermag Heeren’s Vortrag an seiner Grundanschauung nichts mehr zu ändern, wenn schon er auf dessen Empfehlung hin J. von Müller’s „vierundzwanzig Bücher allgemeiner Geschichte“ liest[2]. Mit der im Sommer 1813 erschienenen Dissertation „über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde“ legt er den Grundstein seines 1819 vollendeten, später nur ergänzten Lehrgebäudes. Das Zeitalter der Befreiungskriege aber, in welches der Ausbau seines Systemes fallt, gewinnt ihm nur ein gleichsam ästhetisches Interesse ab. Damals hat sich in ihm die Ueberzeugung befestigt, dass es im Wesentlichen einerlei ist, „ob ein böses Gemüth sich abspiegele als ein Welteroberer, oder als ein Gauner oder hämischer Egoist“[3]. Denn Bonaparte ist ihm lediglich „ein gewaltiger Spiegel des Willens zum Leben“, das mit seinem Namen verknüpfte Unheil dagegen muss ihm zum Beweise dienen für den namenlosen Jammer, den jener Wille im Gefolge hat[4]. Wie er sich aber in seiner gelassenen Betrachtung der Dinge dem alten Goethe nähert, so entfernt er sich wiederum von diesem, wenn er den Handelnden selbst die ästhetische Gerechtigkeit versagt und diejenigen schmäht, welche von der grossen

    kein einziges Buch in Prosa, einige Romane ausgenommen, keine Geschichte, nichts, als was du etwa lesen musstest, um bei Herrn Runge [dem Vorsteher eines Hamb. Institutes] zu bestehen“, s. Gwinner, Schopenhauer’s Leben. 2. Aufl. Leipz. 1878, S. 23.

  1. Gwinner S. 46–52.
  2. Gwinner S. 101.
  3. Memorab. 730.
  4. Ebenda 304. Dresdener Aufzeichnung von 1814.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1890, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1890_03_051.jpg&oldid=- (Version vom 19.10.2022)