Seite:De DZfG 1890 03 006.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

der Freiheit und Gleichheit in das hellste Licht zu setzen, und geht gleichzeitig leichten Herzens über all’ die Unfreiheit und Ungleichheit hinweg, die in diesem „freien Spiel der Kräfte“ (the free play of individual impulse) in der Gesellschaft aufwucherte, und die um so verhängnissvoller auf das Griechische Staatsleben zurückgewirkt hat, je machtloser der republikanische Staat der Gesellschaftsordnung gegenüberstand.

Eine einigermassen genügende Analyse der Elemente und Lebensgesetze der Gesellschaft sucht man bei Grote vergeblich. Der Glaube an das demokratische Verfassungsprincip und an die Macht der politischen Formen und des formalen Rechtes lässt eine derartige Betrachtungsweise nirgends aufkommen. Bezeichnend dafür ist der Satz, welchen Grote Mitford’s allerdings einseitiger Beurtheilung der Athenischen und der Griechischen Demokratie überhaupt entgegenhält, dass nämlich die „Volksversammlung im demokratischen Staate immer dasselbe Interesse gehabt habe, wie die Gesammtheit“. Die ungeheure Mehrheit der Bürgerschaft (wie Grote meint 99 Procent) wird dabei als eine einheitlich gesinnte Masse hingestellt, die trotz der Verschiedenheit der socialen und wirthschaftlichen Lage der Einzelnen durchaus harmonisch hätte zusammenleben können (could live harmoniously together), wenn nur nicht „die wenigen Allerreichsten“ (the few richest men) beständig auf eine Störung dieser Harmonie hingearbeitet hätten[1]. Daher habe in der die Gesammtgemeinde ausser den Reichsten repräsentirenden Demokratie (the remaining community minus the riches) der Staatsgedanke die reinste Verwirklichung gefunden; „denn das Interesse von 99 Procent der Gesammtheit müsse doch immer dasselbe gewesen sein, wie das des Ganzen selbst“[2].

  1. Westminster Review a. a. O. S. 291.
  2. Grote findet hier offenbar das Ideal verwirklicht, das er in der Abhandlung über die Parlamentsreform 1831 aufstellt, nämlich „the necessity of a total number of voters, so great as not to be capable of having a separate interest from the country, and of taking their votes, not in classes, but as individuals. Als ob das allgemeine Stimmrecht die Abstimmung nach Classengruppen und Classeninteressen verhindern könne! Vgl. George Grote, Minor Works ed. Bain p. 37. Cf. ib. p. 22: To me it appears, that the poorer classes in general have an understanding sufficiently just docile and unprejudiced to elect and to
Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Quidde (Herausgeber): Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, Freiburg i. Br. 1890, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1890_03_006.jpg&oldid=- (Version vom 19.10.2022)