Seite:De DZfG 1889 02 241.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

können. Neben solchen immerhin vereinzelten äussersten Fällen gibt es aber auch noch zahlreiche, in denen die Versendung von Hss. die unerlässliche Vorbedingung für die Ausführung von Forschungen ist, die sonst noch Jahrzehnte lang zurückgestellt werden müssten, oder in denen sie ganz ausserordentliche Erleichterungen, Riesenersparnisse an Mühe, Zeit und Geld gewährt auf Kosten einer verschwindend kleinen Gefahr. Ganz ohne solche ist ja selbst die Benutzung an Ort und Stelle nicht, Zeugniss dessen sind in Hss. manche verunglückte Experimente mit Reagenzien, Flecke, Risse und schadhafte Stellen. Man denke z. B. an Courier’s berühmten Tintenfleck in der Longus-Hs. der Laurentiana, der unter den Augen der Beamten entstanden ist. Auf der andern Seite aber steht das Risico, durch ein grosses Unglück einmal das Ganze zu verlieren, ohne es so ausgenutzt zu haben, wie auch bei vernünftiger Vorsicht möglich gewesen wäre. Ereignisse wie der Untergang der Strassburger Stadtbibliothek können sich jeden Tag wiederholen, und je freier die Benutzung der Mss. war, um so mehr ist Aussicht vorhanden, dann auch gleiche Glücksfälle verzeichnen zu können, wie damals die Hegel’sche Edition des Königshofen auf Grund der verbrannten Hss. – Diese Zeitschrift glaubt sich deshalb zum Organ der Fachgenossen zu machen, wenn sie der Hoffnung und Bitte Ausdruck gibt, man möge den Beschluss noch einmal in Erwägung ziehen und versuchen einen Ausweg zu finden, der die Gebote der Vorsicht mit den berechtigten Wünschen der lebenden Forscher in Einklang bringt.

Man entscheide sich von Fall zu Fall – was freilich den Bibliothekaren eine heikle, aber der Natur der Sache nach unvermeidliche Aufgabe stellt –, man suche die grösstmöglichen Bürgschaften für gewissenhafte Behandlung der Hss. zu erreichen, man gehe auf das Rücksichtsloseste vor in allen Fällen wirklich leichtfertigen oder pflichtvergessenen Verfahrens, gegen Beamte wie gegen Benutzer, ohne jedes Ansehen der Person, wenn nöthig unter Benutzung der Oeffentlichkeit und Vereinigung verwandter Institute zu gemeinsamer Haltung; aber man suche doch zu vermeiden, dass die Gesammtheit unter Missbräuchen Einzelner leide. Fast überall ist mit den grossen Fortschritten des Verkehrs auch der geistige Güteraustausch ein leichterer und regerer geworden, die Bedingungen wissenschaftlicher, speciell historischer Forschung sind unendlich verbessert; lange ängstlich verborgen gehaltene Schätze werden zugänglich gemacht; namentlich deutsche Gelehrte sind überall im In- und Auslande emsig thätig, diese Vortheile für ihre Forschungen auszunutzen! Sollte da gerade in Deutschland auf diesem Gebiete eine rückläufige Bewegung eintreten wollen? Die Massregel, welche wir hier besprachen, hat, wenn man die Frage ganz allgemein stellt, eine gewisse Verwandtschaft mit Vorgängen im Reichslande, welche den im letzten Hefte erwähnten französ. Beschwerden zu Grunde liegen, – so sehr sonst beide in den Motiven verschieden sein mögen. – Hoffentlich sind es nur vereinzelte Fälle und nicht Symptome einer Strömung, die auf dem Gebiete wissenschaftlichen Verkehrs zu Abschliessungsgrundsätzen zurückkehren möchte. Die betheiligte Gelehrtenwelt könnte sonst nicht frühzeitig und nicht nachdrücklich genug für ihre Interessen eintreten.

[188

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1889, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1889_02_241.jpg&oldid=- (Version vom 29.11.2022)