Seite:De DZfG 1889 02 162.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

der Faculté des lettres vor zwanzig Jahren fast nur Dilettanten als Zuhörer hatten, werden sie heute von mehr als tausend eifrigen Schülern besucht. Die Geschichtsvorlesungen sind eingetheilt in grosse Curse, in denen der Professor ein mehr oder weniger allgemeines Thema behandelt, und welche einem grösseren Publikum zugänglich sind, und in geschlossene Vorlesungen, in welchen Texte erklärt und kritische oder pädagogische Uebungen geleitet werden. Die Hilfswissenschaften, Archäologie, Diplomatik, Paläographie, – bisher nicht einbegriffen in den historischen Unterricht, werden heute ebenfalls getrieben. Ein ziemlich grosser Theil der Schüler der Facultés des lettres widmet sich der Lehrthätigkeit (dem Professorat), und manche von ihnen bekommen vom Staat Stipendien. Der Geschichte gehört ein weiter Baum in den Examina, die zum Professorat führen. Während früher die „Licence“ ein rein literarisches Examen war, ist sie heute in literarische, philosophische und historische Licence eingetheilt. Ebenso gibt es verschiedene höhere Examina, agrégations genannt, welche die Candidaten verschiedener Unterrichtszweige bestehen müssen; eines von ihnen ist die Agrégation der Geschichte und Geographie (da der Geschichts- und Geographieunterricht am Lyceum in der Hand eines und desselben Professors liegt). Die Ausgedehntheit des Programms, welches die gesammte Geschichte umfasst und als Proben der wissenschaftlichen Ausbildung die Erläuterung und Commentirung griechischer, lateinischer und französischer Texte und eine Untersuchung über ein bestimmtes, vom Studenten ein Jahr vorher gewähltes Thema verlangt, sowie die Anzahl der Concurrenten (80–90 für 12–15 Stellen), machen dieses Examen zu einem sehr schwierigen. Ausserdem sind die Doctoratsthesen förmliche wissenschaftliche Werke, so dass einige der besten historischen Bücher aus den letzten vierzig Jahren als Thesen erschienen sind.

Bis zur Zeit der Reform des höheren Unterrichts war der Geschichtsunterricht lediglich auf Specialschulen beschränkt. Diese Schulen, weit entfernt davon unter dem Erwachen des wissenschaftlichen Lebens in den Facultäten zu leiden, haben aus dem Wetteifer mit ihnen neue Kräfte geschöpft. Die älteste unter ihnen ist die École Normale Supérieure, geschaffen durch den Convent und neu errichtet durch Napoleon I., hauptsächlich dazu berufen Lyceumsprofessoren auszubilden; in ihr ist der Geschichts- und Geographieunterricht unter drei Lehrer vertheilt. Da man in sie nur nach einem sehr schweren Examen gelangen kann, enthält sie die Elite der wissenschaftlichen Jugend, und die Mehrzahl der Professoren des höheren Unterrichts ist aus ihr hervorgegangen. Während der letzten Jahre hat sie einen immer höheren und wissenschaftlicheren Aufschwung genommen. – Die

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1889, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1889_02_162.jpg&oldid=- (Version vom 2.7.2018)