Seite:De DZfG 1889 02 026.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

der ganzen Masse übergegangen, dass nur wenige, die sie lesen, dadurch erst belehrt werden[1]. „Das Werk“ – sagt er an einer anderen Stelle – „hat unglaublich auf die Bildung der Nation eingewirkt“[2].

Diese unvergleichliche Wirkung der Ideen stellt sich dar und ist nur völlig zu verstehen als das Ergebniss einer allgemeinen Reaction gegen die einseitige Verstandeskritik des Zeitalters, gegen die Missachtung des geschichtlich Gewordenen im Vergleich zu der reinen Idee der Aufklärung und der Humanität. Denn nicht darauf kommt es an, dass ein neuer Gedanke ausgesprochen wird, sondern dass die Bedingungen gegeben sind, ihn zu voller Wirksamkeit auf die Zeitgenossen kommen zu lassen. Der Gedanke des Bodinus lag zwei Jahrhunderte todt, bis er in Montesquieu’s Schriften zu neuem Leben erwachte und nun auf einmal durch tausend Canäle das Allgemeinbewusstsein durchtränkte. Leibniz’ens Idee der Entwicklung brauchte fast ein Jahrhundert, um aus der Abgezogenheit philosophischer Speculation herauszutreten und in der Anwendung auf das natürliche und geschichtliche Leben Fleisch und Blut zu gewinnen. Als dann dieser Schritt gethan und die genetische, d. h. die geschichtliche Anschauungsform mehr und mehr in die oberen Schichten unseres Volkes einzudringen begann, da bedurfte es immer noch der ganzen Wucht ethischer Impulse, welche die europäischen Kriege, die Fremdherrschaft und die gemeinsame Erhebung der Völker gegen Napoleon ausübten, um jenen Umschwung auch im Bewusstsein der Massen herbeizuführen, welcher den Anbruch des neuen Zeitalters endgültig besiegelte.




Die Geschichtswissenschaft im engeren Sinne hat verhältnissmässig spät die befruchtende Einwirkung jener Ideen erfahren. Sie stand abseits von der Bewegung der Geister unter dem Banne der utilisirenden Denkweise Gatterer’s und Schlözer’s, und erst Johannes von Müller stellte die Verbindung her mit den Anschauungen der Romantiker. Aber nicht von dieser Seite konnte

  1. Werke, Cotta 1840, Bd. 33 S. 173, Werke, Hempel, Bd. 29 S. 783.
  2. Werke, Cotta 1840, Bd. 33 S. 124, Hempel, Bd. 29 S. 702.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1889, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1889_02_026.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2022)