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in jedes lebendige Geschöpf gelegt ward“[1]. „Es ist“ – sagt Herder – „anatomisch und physiologisch wahr, dass durch die ganze belebte Schöpfung unserer Erde das Analogon Einer Organisation herrsche“[2]. Man sieht, wir begegnen hier wieder dem Gedanken Goethe’s, der sich beiden unabhängig aus dem Begriff des Werdens und der Entwicklung ergab und im geistigen Austausch eines intimen persönlichen Verkehrs, während Goethe seine Entdeckung des Zwischenknochens vorbereitete, Herder den ersten Band der Ideen niederschrieb, zwischen den Freunden hin und her ging.

Auf der Basis dieser Naturanschauung erhebt sich nun bei Herder die Auffassung der Menschengeschichte. Alles ist in der Natur verbunden, ein Zustand strebt zum anderen und bereitet ihn vor: der Mensch schliesst die Kette der Erdorganisation als ihr höchstes und letztes Glied[3]. Auch in der Geschichte ist die genetische Kraft, d. h. die in allen Theilen und in jedem nach seiner Weise wirkende eingeborene Lebenskraft die Mutter aller Bildungen, der das Klima – wie es im siebenten Buch[4] nicht ohne bewusste Wendung gegen Montesquieu heisst – feindlich oder freundlich nur zuwirkt. „Angeboren, organisch, genetisch ist dies Vermögen: es ist der Grund meiner Naturkräfte, der innere Genius meines Daseins“[5]. Auch die Vernunft ist diesem allgemeinen Gesetz der Genesis unterworfen, sie ist eine Summe der Erziehung unseres Geschlechts[6]. „Hier liegt“ – sagt Herder[7] – „das Principium zur Geschichte der Menschheit, ohne welche es keine solche Geschichte gäbe. Empfinge der Mensch alles aus sich selbst und entwickelte es abgetrennt von äusseren Gegenständen, so wäre zwar eine Geschichte des Menschen, aber nicht der Menschen, nicht ihres ganzen Geschlechtes möglich.“ So tritt neben die natürliche Genesis die geistige, die – wie jene durch die organischen Kräfte – durch Erziehung und Tradition wirkt und von Herder als Cultur oder – im Sinne des 18. Jahrhunderts

  1. Ebendort.
  2. II, 4.
  3. V, 6.
  4. VII, 4.
  5. Ebd.
  6. IX, 1.
  7. Ebd.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1889, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1889_02_021.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2022)