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Es wäre ein vergebliches Bemühen, die Ursachen dieses grossartigen geistigen Processes, welcher sich in der romantischen Bewegung vollzog, aus nationalen Motiven allein ableiten zu wollen. Der nationale Gedanke, so bedeutungsvoll er ist, hat doch nur als ethischer Impuls gewirkt, er selbst ist keine primäre Erscheinung, er ist bedingt und befruchtet durch Motive rein intellectueller Natur.

„Die romantische Reaction – sagt Lord Acton –, die mit der Invasion von 1794 begann, war die Empörung der misshandelten Geschichte“[1]. Wir machen uns dies Wort zu eigen, aber wir setzen den Ursprung der Bewegung noch wesentlich weiter zurück, über die Jahre der französischen Invasionskriege hinaus, ja selbst vor den Beginn der Revolution, unter deren Ansturm so viele historische Bildungen in Trümmer gingen. Denn auch die Revolution ist uns nur die Verkörperung des rationalistischen Gedankens der Epoche auf politischem Gebiete. Dieser Gedanke aber war innerlich schon überwunden, ehe er sich in der Revolution und den ihr folgenden Kriegen der revolutionären Propaganda zu seiner letzten und grossartigsten Bethätigung erhob. Er war überwunden von Deutschland aus, längst ehe die Schlachten der Freiheitskriege geschlagen waren.

Die Namen Winckelmann, Herder und Goethe gilt es hier zu nennen. Das Letzte, was aus Goethe’s Feder geflossen, war das Wort von der „genetischen Denkweise, deren sich der Deutsche nun einmal nicht entschlagen kann“[2]. Er hatte selbst die wissenschaftliche und philosopische Arbeit eines langen Lebens in den Dienst dieser Denkweise gestellt. Ihm und Herder verdanken wir es in erster Linie, wenn diese Anschauungsform, welche nun die Welt beherrscht, von Deutschland aus ihren Siegeslauf angetreten hat.

Nicht als ob die Idee unvermittelt dem Haupte dieser Männer entsprungen wäre. Auch sie hat ihre Genesis wie jede andere historische Erscheinung, und es wäre lockend genug, ihren Wurzeln nachzugehen. Aber ich muss es mir versagen, im Einzelnen das vielverzweigte Geflecht aufzudecken, mit dem die historische Weltanschauung in dem geschichtlichen Boden wurzelt. Nur die

  1. Die neuere deutsche Geschichtswissenschaft, übers, [aus der Engl. hist. Review I] v. Imelmann, Berlin 1887, S. 3.
  2. Werke, Cotta 1840 XL, 525. Werke, Hempel XXXIV, 174.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1889, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1889_02_018.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2022)