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Christus habe einen Scheinleib gehabt, vorgeworfen. An ihrer Spitze stand angeblich ein Erzbischof mit sieben Bischöfen, deren jeder über 300 Gläubige gesetzt war. Ohne Frage hat ein Gemisch von zum Theil arg missverstandenen Zügen des waldensischen und katharischen Lehrsystems als Unterlage für die Aufstellung jener Anklagepunkte gedient. Wir fügen aber auch sofort hinzu, dass durch dieselben Gründe, welche uns die Zugehörigkeit der Kremser Ketzer zu den Katharern verneinen liessen, die Annahme, das Katharerthum habe in Böhmen bis ins 14. Jahrhundert hinein fortbestanden, ausgeschlossen wird; für eine Beziehung des Berichtes auf die Secte vom freien Geiste sind Anhaltspunkte überhaupt nicht gegeben. Weist andererseits das päpstliche Schreiben von 1318 im Zusammenhalt mit dem gleichzeitigen entschiedenen Vorgehen der Curie gegen die Häretiker in Böhmen und den Nachbarländern auf eine straffe Organisation und weite Verzweigung der verfolgten Secte hin, so werden wir auch hierdurch wieder auf die Waldenser geführt; die Thatsache ferner, dass nur deren Secte, abgesehen von den hier nicht in Betracht kommenden Begharden, in der Folge die böhmische Inquisition beschäftigt und dass insbesondere die von den besprochenen Ereignissen nur durch eine kurze Spanne Zeit getrennte Inquisition der Jahre 1330 ff. sich gegen die waldensische Secte kehrte, lässt kaum einen anderen Schluss zu als den, dass die böhmischen Häretiker von 1318 ff. Waldenser gewesen sind[1].

Auch zeitlich gehören die österreichische und böhmische Ketzerverfolgung zusammen. Die letztere hatte aller Wahrscheinlichkeit nach, nachdem bereits die Prager Synodalstatuten des Jahres 1301 die Aufmerksamkeit des Klerus auf die Häretiker gelenkt hatten[2], um 1315 erhebliche Ausdehnung gewonnen; in Prag bestiegen in diesem Jahre 14 Verurtheilte den Scheiterhaufen. Wohl die Gewaltthätigkeit des Vorgehens der Inquisitoren hatte heftige Conflicte zwischen diesen und dem Prager Bischof Johann von Dražik (1301–1343) zur Folge, in deren

  1. Die zuerst von Dubravius (Hist. Boh. l. XX, p. 168) ausgesprochene, jeder Begründung entbehrende Ansicht, die böhmischen Ketzer von 1315 ff. hätten der Secte der Apostoliker angehört, ist bis auf die Gegenwart vielfach wiederholt worden. Die genannte Secte hat auf deutschem Gebiete nie Boden gefasst.
  2. Dudik I, 213.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1889, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1889_01_308.jpg&oldid=- (Version vom 17.11.2022)