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That verbreitete sich die Kunde, dass Maria Stuart den Mann heirathen wolle, der sie durch Mord von ihrem zweiten Gatten befreit hatte; schon im März schrieb Will. Drury an Cecil, es herrsche die Ueberzeugung im Volke, dass die Königin mit Bothwell sich verheirathen werde[1], und im April liess Murray, auf der Reise nach dem Festland begriffen, gegen den spanischen Botschafter in London die Andeutung fallen, dass solches geschehen könne. Vergebens warnten die Königin ihre getreuen Anhänger, James Melville und Lord Herries, vor dieser allgemein anstössigen Ehe. Am 15. Mai, also im Beginne des vierten Monats nach Darnley’s Ermordung, heirathete Maria Stuart den Mörder desselben, den Grafen Bothwell. Alles dies, so erstaunlich es klingt, ist nicht Roman, sondern Geschichte und steht unverrückbar fest, wird auch von keiner Seite mit irgendwie ernsten Gründen bestritten.

Der Zweifel beginnt bei der Frage, ob Maria Stuart im Voraus gewusst habe, was Bothwell gegen Darnley plane, und ob sie mit der Ausführung des schrecklichen Planes einverstanden gewesen. Auch diese Frage würde längst aufgehört haben, controvers zu sein, wenn die berüchtigten Cassettenbriefe, aus denen sich ein vernichtendes Selbstgeständniss der Königin ergibt, durchgängig echt wären. Wie weit die Fälschung derselben sich erstrecke, und wie es mit dem versuchsweise schon früher angetretenen, jüngsthin wieder versuchten Beweise stehe, dass nicht bloss einer der Briefe, sondern auch die übrigen sieben gefälscht seien – will ich hier ganz auf sich beruhen lassen. Ich setze hypothetisch den Fall, der Beweis sei erbracht, und es habe seine volle Richtigkeit mit demselben. Allein, selbst wenn es wirklich und nicht bloss hypothetisch sich also verhielte, was wäre denn eigentlich dabei gewonnen? Nichts anderes, als dass die Cassettenbriefe die unwiderleglichen Beweisstücke nicht sind, für welche sie sonst gelten könnten. Einzig dieses und nichts weiter. Daraus aber schon den Schluss zu ziehen, dass die Unschuld der Königin, weil die am schwersten wiegenden Schuldbeweise als Machwerk von Feinden erkannt worden, eine ausgemachte Sache sei, würde sich für einen Advocaten schicken, der die Partei Maria Stuarts zu vertreten hätte, nicht für den Historiker, dem seine Stellung angewiesen ist über den Parteien.

  1. Calend. of State Pap. ut supra p. 198.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1889, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1889_01_050.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)