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Anhang.


Zum 4. Brief.

Geschichte des Knaben mit dem goldenen Zahne. Sprengel. III. Band. 403–406. 16. Jahrh.

Ein Knabe von zehn Jahren in der Gegend von Schweidnitz war das Wunderkind, dem dieser goldene Zahn gewachsen war. Jakob Horst, der in Schweidnitz Arzt gewesen, hörte in Helmstädt, wo er damals (1595) Professor war, von dieser Geschichte und schrieb ein eigenes, höchst seltsames Buch darüber, worin er zuvörderst, ohne einen Augenblick an der Glaubwürdigkeit der Geschichte zu zweifeln, die Erzeugung dieses Zahnes als eine übernatürliche Wirkung ansieht, die von der Constellation abhänge, unter welcher der Knabe geboren. Am Tage seiner Geburt (22. December 1586) habe nämlich die Sonne im Zeichen des Widders gestanden. Durch diese übernatürliche Ursache sei die ernährende Kraft vermittelst der Zunahme der Hitze, wunderbarlich verstärkt, und so sei, statt der Knochenmaterie, Goldstoff abgesondert worden.


Auszug aus dem Brief Galiläi’s an Madama Cristina Granduchessa madre.

„Wir bringen das Neue, nicht um die Natur und die Geister zu verwirren, sondern um sie aufzuklären, nicht um die Wissenschaften zu zerstören, sondern um sie wahrhaft zu begründen. Unsere Gegner aber nennen falsch und ketzerisch was sie nicht widerlegen können, indem sie aus erheucheltem Religionseifer sich ein Schild machen und die heilige Schrift zur Dienerin von Privatabsichten erniedrigen. Aber man darf einen Schriftsteller nicht ungehört verdammen, wo er gar keine kirchlichen Dinge, sondern natürliche behandelt und dieselben mit astronomischen und geometrischen Gründen erörtert. Wer sich immer an den nackten grammatischen Sinn halten wollte, würde der Bibel Widersprüche, ja Blasphemien schuldgeben, wenn sie von Gottes Auge, Hand oder Zorn redet. Und wenn solches nach der Fassungskraft des Volkes vorkommt, wie viel mehr musste diese bei Gegenständen berücksichtigt werden, die von der Wahrnehmung der Menge weit abliegen und das Seelenheil nicht betreffen, wie die Naturwissenschaften. Darum darf man bei ihnen nicht mit der Autorität der Bibel anfangen, sondern mit den Sinneswahrnehmungen und den nothwendigen Beweisen, weil in gleicher Weise Natur und Bibel durch das göttliche Wort ihr Sein haben.“

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 462. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_462.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)