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die Landwirthe im Streit, bis sie die Schule seiner Anwendung durchgemacht hatten.

Seit dieser Zeit sind viele hundert Schiffe hin- und hergegangen, und haben dem europäischen Continent für mehr als 300 Millionen Gulden Guano zugeführt; es sind seit dieser Zeit über 400 Millionen Centner Korn oder seine Aequivalente an Fleisch mehr erzeugt worden.

Es ist wahr, der Guano hätte seinen Weg auch ohnedies nach Europa gefunden, denn eine gütige Vorsehung lässt den Apfel reifen zur rechten Zeit, und wenn er vom Baum fällt und fault, so ist der Mensch daran Schuld, oder der Boden, wenn sein Same nicht keimt. Aber der Guano hätte seinen Weg vielleicht nicht so rasch gemacht, und es ist in den verflossenen kargen Jahren der Hunger und die Noth von vielen Millionen Menschen dadurch gemildert worden.

Der Mann der Theorie, welcher die Wirkungen des Guano vorhersagte, hatte die günstigen Erfolge nicht gesehen, wie sie unsere „Stickstoff-Männer“ später in England gesehen haben, sondern sie waren aus der chemischen Analyse desselben erschlossen; es waren Folgerungen aus dem Grundsatz: dass man dem durch den Kornbau erschöpften Feld wieder geben müsse, was man ihm im Korn genommen.

Nicht die Afterchemie, sondern die Wissenschaft gab dem Landwirth das Mittel in die Hand, die Wirkung des phosphorsauren Kalks durch Aufschliessung mit Schwefelsäure für die Ernährung geeigneter zu machen und in der Zeit zu verstärken, und die Praxis hat in England seit sechszehn Jahren gezeigt, dass durch die Anwendung dieses Mittels die Futtererträge in dem Grad gestiegen sind, wie wenn sich die Oberfläche eines jeden Futterfeldes verdoppelt hätte; man baut seitdem auf derselben Fläche viele Millionen Centner mehr Fleisch als sonst, oder sein Aequivalent mehr an Korn.

Und der Mann der Theorie, welcher dieses Mittel angab, hatte seine Wirkung nicht gesehen, so wie sie unsere Agriculturchemiker in England gesehen haben, sondern er hatte sie aus dem Grundsatz erschlossen, dass die Wirkung eines Düngmittels in der Zeit im Verhältniss zunehmen müsse, wie seine Oberfläche zunimmt.

Alles was die praktischen Landwirthe, die landwirthschaftlichen Vereine auch thun, was sie in ihren jährlichen Versammlungen auch beschliessen mögen, jeder Groschen ist verloren, jedes Jahr des Versuchmachens ist umsonst, so lange sie der echten Erfahrung, so lange sie der Logik, welche der gesunde Menschenverstand ist, nicht die Herrschaft überlassen; so wie sie es thun, ist damit die Wissenschaft ihr eigen.

Es giebt ein Recept für die Fruchtbarkeit unserer Felder, und für die ewige Dauer ihrer Erträge; wenn dieses Mittel seine folgerichtige Anwendung findet, so wird es sich lohnender erweisen als alle, welche jemals die Landwirthschaft sich erworben hat; es besteht in Folgendem:

Ein jeder Landwirth, der einen Sack Getreide nach der Stadt fährt, oder einen Centner Reps, oder Rüben, Kartoffeln etc., sollte, wie der chinesische Kuli, eben so viel (wo möglich mehr) von den Bodenbestandtheilen seiner Feldfrüchte wieder aus der Stadt mitnehmen, und dem

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 459. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_459.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)