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Korn für sieben, vielleicht für zehn Ernten und darin seinen ganzen Gewinn geliefert hat, den er in seinem Mist im Voraus, auf viele Jahre hinaus, zu einem Schleuderpreis verkauft hat – der Mist ist ihm nicht mehr feil.

Der Tabakspflanzer, welcher anfänglich den Dünger in der Nähe hatte, wendet sich nun an Fleisch- und Körnererzeuger, welche diese Erfahrung, die sein Nachbar machte, erst machen müssen, und so erweitert sich in jedem Jahre sein Raubgebiet, bis er dann zuletzt genöthigt ist, seinen Dünger in den Städten zu holen, und die Elemente, die dem Städtedünger fehlen, auf anderm Wege zu ergänzen.

Ganz dasselbe Verhältniss tritt in Ländern mit ausgedehntem Weinbau ein. Die Weinberge haben in der Regel eine geneigte Lage und keine Ackerkrume; der Boden ist verhältnissmässig unendlich ärmer an Pflanzennahrungsstoffen als die Felder, welche in Ebenen liegen. Der Weinberg erzeugt keinen Dünger; er empfängt bis zu einer gewissen Grenze den ihm noch fehlenden Zuschuss an Nahrung von den Korn- und Futterfeldern der umliegenden Orte, und die Besitzer derselben, wenn sie dazu Gelegenheit haben, rauben ihrerseits den nahen Wald aus.

Durch tiefe Rodungen sucht der Weinbauer seinen armen Boden dem tiefwurzelnden Rebstock aufzuschliessen und zugänglich zu machen, und durch zeitweilige Anpflanzung von Luzerne und Klee, die dem Obergrund mangelnden Bestandtheile darin aufzuhäufen; er führt die verwitterten Trümmer von alkalireichen Gesteinen seinen Weinbergen als Dünger zu, so wie die Ackerkrume von Feldern, die er zu diesem Zweck erwirbt.

Der Weinbau übt hiernach auf die Korn- und Fleischerzeugung einen ähnlichen schädlichen Einfluss aus, wie der Anbau von Tabak und Handelsgewächsen überhaupt; der Erzeuger von Korn und Fleisch raubt nach dem üblichen System sein eigenes Feld, der Erzeuger von Wein und Handelsgewächsen raubt den Korn- und Fleischerzeuger aus, und die grossen Städte verschlingen allmählich, bodenlosen Abgründen gleich, die Bedingungen, der Fruchtbarkeit der grössten Länder.

In dieser Weise erschöpften die Pfälzer und Bergsträsser Weinbauern und Tabakspflanzer die Felder des hessischen und badischen Odenwaldes, und vollendeten den Ruin des an sich armen und verschuldeten Bauers, der dem verlockenden Klange des Silbers, das er für seinen Mist empfing, nicht zu widerstehen vermochte.

In gleicher Weise verschlangen nach einer Reihe von Jahrhunderten die Cloaken der ungeheuren Weltstadt den Wohlstand des römischen Bauers, und als dessen Felder die Mittel zur Ernährung ihrer Bewohner nicht mehr zu liefern vermochten, so versank in diesen Cloaken der Reichthum Siciliens, Sardiniens und der fruchtbaren Küstenländer von Afrika.

Nur da erhielt sich die Fruchtbarkeit der Felder ungeschwächt seit Jahrhunderten, wo eine feldbautreibende Bevölkerung auf einer verhältnissmässig kleinen Fläche zusammengedrängt wohnt, wo der Bürger und Handwerker der kleinen, auf derselben Fläche zerstreuten Städte sein eigenes Stückchen Feld mit seinen Gesellen bebaut.

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_443.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)