Seite:De Chemische Briefe Justus von Liebig 441.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


Es giebt unter den Gewerbtreibenden keinen, dessen Sinn mehr auf den augenblicklichen und vorübergehenden Gewinn gerichtet ist als der des gewöhnlichen Bauers, obwohl gerade bei diesem das Gegentheil vermuthet werden sollte, keinen, der im industriellen Sinne weniger zu rechnen versteht.

Der kluge Landwirth, welcher den Bauern in seiner Umgegend ihre Kartoffeln abkauft, um Branntwein daraus zu brennen, oder den Reps, um Oel daraus zu schlagen, weiss, dass jede Kartoffelernte von zwei Tagwerken Feld, die ihm der Bauer verkauft, in ihren Rückständen ihm drei Ernten Roggen (Samen) oder eine volle Ernte Reps einbringt; er weiss, dass ein jeder Centner Reps ihm in den Repskuchen zwei Centner Weizenkorn werth ist, und in der Anlage seiner Brennerei oder Oelmühle bringt er diese Vortheile in diesem Zuwachs an den Bedingungen der Fruchtbarkeit seiner Felder in Rechnung.

Der Bauer, der ihm diese Kartoffeln oder den Reps verkauft, weiss, dass der andere diesen Zuwachs für erheblich hält, er selbst hält ihn aber für seine Felder für unerheblich; es fällt ihm gar nicht ein dafür zu sorgen, dass er die Düngerbestandtheile mit Aufopferung eines Theils des empfangenen Silbers für sein Feld zurückhält. Der Repssamenverkäufer sollte, wenn er der Landwirth ist, nur das Oel, der Kartoffelverkäufer den Industriellen nur das Stärkemehl verkaufen, denn nur in dieser Weise erhält sich der Kreislauf.

Der Landwirth veräussert aber nicht blos Korn, er veräussert Kartoffeln, Rüben (zur Zuckerfabrikation), Tabak, Hanf, Flachs, Krapp, Mohn, Reps und Wein.

Indem der korn- und fleischerzeugende Landwirth in seinen Producten nur Phosphorsäure, Alkalien und alkalische Erden ausführt, behält er die Bestandtheile des Strohes und der Futtergewächse auf seinen Feldern zurück, sie wandern in dem Wechsel seiner Gewächse von einem Feld zum andern; der tiefer wurzelnde Klee und die Rüben entziehen sie dem Untergrund, und durch den Mist häufen sie sich fortwährend in der Ackerkrume an. Die Ackerkrume, so wie sein Mist empfangen jährlich einen Zuwachs an löslicher Kieselsäure, an Alkalien und Salzen mit alkalischer Basis; ihr Gehalt an phosphorsauren Salzen nimmt stetig ab.

Man wird hieraus verstehen, warum die Düngung seiner Felder mit eben diesen Stoffen – mit löslicher Kieselsäure, mit Kali und Kalisalzen – auf den Feldern des korn- und fleischerzeugenden Landwirths nicht die allergeringste Wirkung hervorbringt, denn seine Felder enthalten in der Regel einen Ueberschuss davon, der ebenfalls wegen des Mangels an phosphorsauren Salzen keine Wirkung hat. Man wird ferner verstehen, warum der korn- und fleischerzeugende Landwirth auf die Zufuhr von phosphorsauren Salzen, von Guano und Menschenexcrementen einen Werth vorzugsweise, und auf die andern Pflanzennahrungsstoffe so gut wie keinen Werth legt.

Auf solchen Feldern kann die einfache Düngung mit Menschenexcrementen eine unendliche Reihe von Jahren hindurch hohe Kornernten liefern mit oder ohne Mitwirkung von Stalldünger, allein die fortgesetzte Anwendung von Guano erschöpft auch dieses Land. Die

Empfohlene Zitierweise:
Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 441. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_441.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)