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Kork hängen, und wenn es ihn trägt, so sollte er dankbar dafür und nicht stolz darauf sein. Der Guano bedurfte des Korks nicht; er hätte seinen Weg doch gemacht wie die Eisenbahnen, so wie er denn in andern Ländern einen weit grössern Weg zurück gelegt hat als bei uns, ohne irgend die Beihülfe eines Chemikers zu bedürfen. Dinge, welche Geld einbringen, machen ihren Weg von selbst.

Und wenn Agriculturchemiker behaupten, dass das Ammoniak oder die Ammoniaksalze Universalmittel seien für die Weizencultur, oder der saure phosphorsaure Kalk für die Rübengewächse, so beweisen sie eben, dass sie den eigentlichen Kern der landwirthschaftlichen Lehre nicht verstehen.

Von einem jeden Hectare Weizenfeld führt der kornerzeugende Landwirth in einer Mittelernte Korn (2000 Kilogrm.) 70 Pfund mineralische Samenbestandtheile, darunter 34 Pfund Phosphorsäure und 21 Pfund Kali, den Verzehrern in den grossen Städten zu, und von seinem Felde aus; in einem Ochsen von 550 Pfund empfängt die Stadt 183 Pfund Knochen, welche nahe an 120 Pfund phosphorsauren Kalks enthalten, und im Fleisch, in der Haut und den übrigen Theilen des Ochsen 15 Pfund phosphorsaure Salze, identisch mit den Samenbestandtheilen des Roggens[1].

Die jährlichen flüssigen und festen Ausleerungen von einer Million Bewohner grosser Städte (Männer, Frauen und Kinder) wiegen in staubig trockenem Zustande 46 Millionen Pfund; in diesen befinden sich 10,300,000 Pfund Mineralsubstanzen, grossentheils Aschenbestandtheile des Brodes und Fleisches (5 Millionen Pfund Knochen des Schlachtviehes, so wie die Mineralsubstanzen in den Ausleerungen der Pferde etc. ungerechnet). Diese Ausleerungen der Menschen allein enthalten an phosphorsauren Salzen 4,580,000 Pfund.

Der Abfluss dieser Materien von dem Land nach den Städten hat seit Jahrhunderten stattgehabt, und erneuert sich jedes Jahr, und kein Theil derselben ist auf die Felder der Landwirthe, die sie geliefert haben, zurückgekehrt; nur wenige Procente davon werden in den Gärten und den Feldern in den nächsten Umgebungen der Städte benutzt.

Es ist vollkommen thöricht zu glauben, dass der Verlust dieser für die Fruchtbarkeit der Felder so wesentlichen Stoffe keinen Einfluss auf die Erträge derselben gehabt hätte. In der That muss auch der Verblendetste in Schrecken gerathen über die enorme Grösse dieses Verlustes, wenn er die erstaunliche Steigerung der Erträge an Korn und Fleisch in’s Auge fasst, die man erzielt hat, seitdem man durch Anwendung von Guano anfing einen sehr kleinen Bruchtheil der Korn- und Fleischbestandtheile den daran beraubten Feldern wiederzugeben. Ich habe erwähnt, dass die Bestandtheile des Guano identisch sind mit den Bestandtheilen der menschlichen Ausleerungen. In den in Sachsen an sechs verschiedenen Orten für diesen Zweck besonders angestellten lehrreichen Versuchen hat sich herausgestellt, dass ein mit Guano gedüngtes Feld

  1. In der Stadt München wurden im Jahre 1855/56 an Kühen und Ochsen 16,301 Stück geschlachtet, welche, im Mittel zu 5 Centner gerechnet, 8,150,500 Pfund wogen; hierzu kommen an Kälbern, Schweinen und Schafen 66,786 Stück zu 70 Pfund Mittelgewicht, 5,675,020 Pfund. In diesen Zahlen sind die auf der Freibank, von den Wirthen und Köchen geschlachteten Thiere nicht einbegriffen.
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_438.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)