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Um den Mistcultus zu retten, machen es seine Priester wie die Bauern von Birkenfeld im vorigen Jahrhundert, die sich bitter beklagten, dass man sie nöthigen wolle ein ausländisches Unkraut (Klee) zu bauen; sie sagten den Beamten unverhohlen: „die Herren sollten bei ihrem Leisten bleiben und sich um die Sachen bekümmern, die sie gelernt hätten. Was den Feldbau beträfe, so verstünden sie denselben wohl besser als alle Markgrafen und Oberamtleute in der Welt.“ Sie wollten die Sache nicht einmal versuchen, und als man sie zwang den Klee auszusäen, so erbaten sich dieselben nach einiger Zeit eine obrigkeitliche Besichtigung – „kein Körnchen von Klee war aufgegangen“, und es ergab sich zuletzt, dass die Bauern den Kleesamen abgekocht hatten. In derselben Weise verfährt man heute mit den wissenschaftlichen Principien; die Lehrer der modernen Landwirthschaft kochen sie in ihren Töpfen ab, und der Augenschein ergibt alsdann, dass kein Körnchen davon aufgegangen ist; von dem Zwange des Fruchtwechsels wollen sie einmal den Landwirth nicht befreit haben, dies verstünden sie besser. Aber ihre Lehre selbst ist dürr, weil sie keine Wurzeln hat; was sie in ihren Büchern Gutes lehren, weiss der Landwirth, denn sie haben es von ihm, und was von ihnen kommt, flösst ihm kein Vertrauen und keine neuen fruchtbaren Gedanken ein und erhöht und stärkt seine Kräfte nicht. Wenn sie dem Landwirth einfach sagten, was der und jener zu der oder jener Zeit auf diesem oder jenem Felde gemacht hat, und dass man brav düngen müsse, dass Guano und Knochenmehl treffliche Dünger und Chili-Salpeter und Gyps und Mergel auch nicht zu verachten seien – wer könnte ihnen billiger Weise einen Vorwurf wegen der Verbreitung dieser geistesarmen Wahrheiten machen? Sie sind aber viel weiter gegangen und haben in ihrer Verblendung und Beschränktheit die Axt an die Wurzel des Wohlstandes der landwirthschaftlichen Bevölkerung gelegt, und dies kann fernerhin nicht geduldet werden.

Sie behaupten und lehren, dass in dem Guano, Chili-Salpeter und Knochenmehl der Stickstoff der einzige gemeinsame Bestandtheil sei, der in Betracht komme, und dem die erzielte Vermehrung des Pflanzenwuchses zuzuschreiben sei.

Sie lehren und wollen die Landwirthe glauben machen, dass 10 bis 12 Pfund Rindviehharn, der keine Phosphorsäure enthält, die Wirkung von 1 Pfund Guano habe, welcher reich an Phosphorsäure ist, weil beide einerlei Mengen von Stickstoff enthalten.

Sie lehren und behaupten, dass die Wirksamkeit des Guano und des Stallmistes durch die nämliche Ursache (ihren Stickstoffgehalt) bedingt sei, und dass der Guano die Wirkung des Stallmistes haben müsse.

Und alles dies ohne eine einzige Thatsache für sich, oder ohne nur versucht zu haben, durch eine unverwerfliche Thatsache festzustellen, dass man auf einem erschöpften Feld durch Stickstoff allein in einer Reihe von Jahren die nämlichen Erträge an Korn oder einer Feldfrucht hervorbringen könne, die man thatsächlich durch Stallmist, durch Guano und Knochenmehl auf demselben Feld erhält – eine Wirkung, welche Jeder, der mit den Anfangsgründen der Pflanzenernährung bekannt ist, als ein Ding der Unmöglichkeit erkennt.

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 430. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_430.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)