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möglich und in den Futtergewächsen verkaufe man seinen Mist; um diess einzusehen, dazu bedürfe man die Weisheit eines Chemikers nicht. Sicherlich nicht, denn so weit geht der gewöhnlichste Bauernverstand; dass er aber in seinem Korn seinen Mist dennoch verkauft, dies sieht selbst die grosse Mehrzahl der erleuchtetsten Landwirthe nicht ein. Der Mist enthält alle Bodenbestandtheile des Futters, und diese bestehen aus den Bodenbestandtheilen des Korns plus einer gewissen Menge Kali, Kalk, Schwefelsäure. Es ist leicht verständlich, da der ganze Misthaufen aus Theilen besteht, dass er auch keinen Theil davon veräussern darf, und wenn es möglich wäre die Bodenbestandtheile des Korns durch irgend ein Mittel von den andern zu scheiden, so würden gerade diese für den Bauer den höchsten Werth haben, denn diese bedingen die Cultur des Korns. Diese Scheidung aber findet statt in der Cultur des Korns, denn diese Bodenbestandtheile des Mistes werden zu Bestandtheilen des Korns, und in dem Korn verkauft er einen Theil, und zwar den wirksamsten Theil seines Mistes.

Zwei Misthaufen von gleichem Ansehen und anscheinend gleicher Beschaffenheit können für die Korncultur einen sehr ungleichen Werth haben; wenn in dem einen Haufen sich doppelt so viel von Aschenbestandtheilen des Korns als in dem andern befinden, so hat der erstere den doppelten Werth. Durch die Ausfuhr der Bodenbestandtheile des Korns, welche das Korn von dem Mist empfing, nimmt dessen Wirksamkeit für künftige Kornernten stetig ab.

Von welchem Gesichtspunkt man demnach die Ausfuhr des Korns oder irgend einer andern Feldfrucht betrachten mag, für den Landwirth, der die ausgeführten Bodenbestandtheile nicht ersetzt, ist die Wirkung immer eine Erschöpfung des Bodens. Die dauernde Ausfuhr von Korn macht den Boden unfruchtbar für Klee, oder raubt dem Mist seine Wirksamkeit; der Mist hat für sich nur insofern einen landwirthschaftlichen Werth, als er die für Erzeugung der verkaufbaren Producte nöthigen Bedingungen enthält; die Grösse oder der Umfang eines Haufens machen seinen Werth nicht aus.

Man wird einsehen, welcher Mangel an Einsicht in der Lehre verhüllt liegt: dass der Mist das Material sei, welches vom landwirthschaftlichen Gewerbe verarbeitet werde etc., und wie dieser Lehr- und Glaubenssatz dazu beigetragen hat, die Augen der Landwirthe für die Erkennung der einzigen und Urquelle aller landwirthschaftlichen Production und seines Reichthums, welches der Boden ist, zu verschliessen.

Wenn unsere Landwirthe den jungfräulichen Boden Amerikas, Australiens oder Neu-Seelands zu ihrer Verfügung hätten, so würde ein Lehrer, der sie glauben machen wollte, dass „der Mist die Seele der, Landwirthschaft“ sei, in ihren Augen einfach lächerlich erscheinen, da sie ja die Erfahrung für sich haben, dass ihr Korn ohne allen Mist gedeiht.

In unsern erschöpften Feldern finden die Wurzeln der Halmgewächse in den obern Schichten der Ackerkrume den ganzen Gehalt der Nahrung für einen vollen Ertrag nicht mehr vor, und der Landwirth baut desshalb auf diesen andere Pflanzen an, die wie die Futter- und Wurzelgewächse mit ihren weitverzweigten tiefgehenden Wurzeln nach allen Richtungen hin den Boden durchwühlen, deren mächtige Wurzeloberflächen

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 425. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_425.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)