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denn darin hat sich seit Jahren nichts geändert, sein Misthaufen ist so gross und auch sein Feld sieht aus wie sonst.

Als Gewerbtreibender ist er in der Lage eines Schuhmachers, der sich Untersuchungen über den Ursprung des Sohl- und anderen Leders, wie es gegerbt wird und was seine gute Beschaffenheit ausmacht, nicht hingeben darf, und der, wenn er dies thut, uns höchstwahrscheinlich weder wohlfeile noch gute Schuhe liefern wird. Der echte Schuhmacher bekümmert sich um solche Dinge nicht, über welche Andere für ihn nachdenken müssen; wenn er Bildung hat, so studirt er die Anatomie des Fusses, und verfertigt Schuhe, welche das Auge der Dame entzücken, und Stiefeln die keine Hühneraugen machen und doch den Fuss nicht entstellen; einer solchen Perle von einem Schuhmacher würde es gar nicht einfallen, mit dem Chemiker einen Streit über Leder, Pech und Draht anzufangen, denn er würde dazu keine Zeit haben, sondern er würde ihm dankbar sein, wenn dieser ihn lehrte, woran er die guten und für seine verschiedenen Zwecke besten Sohl- und Oberledersorten erkennt und unterscheidet.

Die Aufgabe des wissenschaftlichen Landwirths und Lehrers der Landwirthschaft ist eine höhere; der Lehrer soll über der Praxis stehen und sie in dem rechten Geleise erhalten und lenken; er soll die Methoden der Cultur des empirischen Landwirths einer ernsten und strengen Prüfung unterwerfen und ihn zum Bewusstsein seines Thuns bringen; der rationelle Landwirth soll untersuchen, ob sein Verfahren mit feststehenden Wahrheiten und Naturgesetzen übereinstimmt oder sie verletzt, er soll stets im Auge behalten, dass das Ziel der ächten Praxis nicht allein auf die höchsten Erträge, sondern auf die ewige Dauer und Wiederkehr dieser höchsten Erträge gerichtet sein müsse.

Wenn der Lehrer der Landwirthschaft, anstatt der Praxis in dieser Weise Hülfe zu leisten und sie zu ergänzen, sich Vorstellungen hingibt, welche darauf berechnet sind, das empirische Culturverfahren des Landwirths zu rechtfertigen; wenn er wahrnimmt, dass dieses Verfahren feststehenden Naturgesetzen widerspricht, und daraus den Schluss zieht, dass diese Naturgesetze auf die Praxis keine Anwendung finden könnten, dass der Feldbau demnach Naturgesetzen nicht unterworfen sei; wenn er behauptet, dass die Praxis und die Wissenschaft von einander trennbare Dinge seien, dass in der Wissenschaft etwas wahr sein könne, was in der Praxis falsch sei – so steht er tief unter dem praktischen Mann, der in dieser Lehre keine Belehrung findet, weil sie nichts weiter ist als eine mit unrichtigen Vorstellungen verbrämte Abspiegelung seines eigenen Thuns.

Ein einfaches umfassendes Naturgesetz beherrscht die Höhe und die Dauer der Erträge der Felder.

Die Höhe des Ertrags eines Feldes hängt ab von der Summe der darin vorhandenen Bedingungen seiner Fruchtbarkeit; die Dauer der Erträge hängt ab von dem Gleichbleiben dieser Summe.

Ein praktischer Landwirth, Albrecht Block, soll gesagt haben: Alles was eine Wirthschaft nachhaltig veräussern kann, muss gleich dem Product der Atmosphäre sein – ein Feld, von dem nichts genommen wird, kann an Kraft nur zu-, nicht abnehmen. In der folgenden Form ausgedrückt: Alles kann eine

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_419.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)