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Wie das Gold in den Golddistricten Amerika’s und Australiens, ist die Ackerkrume das Residuum der Einwirkung mächtiger mechanischer Ursachen auf die Gesteine, die ihre Zertrümmerung, und chemischer Ursachen, die ihre Zersetzung und Aufschliessung bewirkt haben. Der granitische Kies in der Umgegend von Darmstadt, in welchem man Feldspath, Glimmer und Quarztheile deutlich erkennt, ist eben so unfruchtbar wie der reine Quarzsand oder gepulverte Marmor. Es gehörte vielleicht ein Jahrtausend dazu, um eine linienhohe Schicht Ackerkrume, so wie man sie in den Ebenen weiter Flussthäler und Niederungen abgelagert findet, aus manchen Felsarten, aus Basalt, Granit, Porphyr, Trachit etc., zu bilden, und derselben die physikalische und chemische Beschaffenheit zu geben, die sie für das Pflanzenleben geeignet macht.

Unsere modernen Lehrer der Landwirthschaft lehren, dass der fruchtbare Boden an den Aschenbestandtheilen der Gewächse, welche Bedingungen ihres Lebens sind, unerschöpflich sei, und der gegenwärtige landwirthschaftliche Betrieb ist in allen seinen Beziehungen auf diese Ansicht und darauf begründet, dass die Erhöhung und Steigerung der Erträge der Felder nur, oder vorzugsweise nur durch die Zufuhr von organischen Stoffen, deren Elemente nicht vom Boden, sondern aus der Atmosphäre genommen sind, bewirkt werden könne.

In so praktischen Fragen, die sich auf Boden, Ernteerträge und Düngung beziehen, behauptet die praktische Landwirthschaft, habe die Geologie und Chemie keine Stimme, nur die Erfahrung könne entscheiden, und diese bestätigte die Schlüsse der Naturwissenschaft nicht.

Wir wollen jetzt untersuchen, worin diese Erfahrungen bestehen, und auf welche Gründe sie ihre Lehre stützen; ist sie echt und wahr, so muss sie die Dauer der Fruchtbarkeit fruchtbarer Felder sicherstellen; sie muss dem praktischen Landwirth die Mittel schaffen, die Fruchtbarkeit der durch die Cultur erschöpften Felder wieder herzustellen. Wenn der, welcher dieser Lehre folgt, an diesen Mitteln jemals Mangel hat, so ist sie verurtheilt.

Seitdem der Streit über die wissenschaftlichen Grundsätze des Feldbaues begonnen hat, sind mir von vielen trefflichen Landwirthen die interessantesten Belege aus ihrer Praxis für die Wahrheit dieser Grundsätze mitgetheilt worden, die sie Bedenken trugen in einer landwirthschaftlichen Zeitschrift bekannt zu machen, um nicht in einen Kampf verwickelt zu werden, zu dessen Durchführung, wie sie in ihrer allzu grossen Bescheidenheit sich ausdrückten, ihnen die dazu nöthigen gründlichen wissenschaftlichen Kenntnisse fehlten. Ich stehe, wie man sich denken kann, in der Stellung, die ich bekleide, zu Landwirthen, die ihr Feld selbst bauen, nur in socialen, für mich sehr lehrreichen und angenehmen Beziehungen, und wenn in diesen Briefen von der praktischen Landwirthschaft oder von praktischen Landwirthen die Rede ist, so können selbstverständlich nur die schriftstellernden praktischen Landwirthe, und diejenigen darunter gemeint sein, welche die landwirthschaftlichen Lehren durch Schrift und Wort vertreten. Unter unsern Landwirthen befindet sich eine grosse Anzahl von Männern der höchsten Intelligenz und Bildung, welche, gleich dem römischen Gentleman, General, Gesetzgeber und Consul der besten Zeit des alten Roms, die Landwirthschaft als

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 407. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_407.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)