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wenn er dem Kreislauf der Bedingungen des Lebens entgegentritt, und ihr Zusammenwirken stört und hemmt.

Es gehört wohl zu den seltsamsten, wenn auch nicht zu den unerklärlichen Erscheinungen in unserer Zeit, dass die Existenz dieser Naturgesetze von einer grossen Zahl praktischer Landwirthe, gerade von solchen Männern geleugnet wird, welche täglich in der Lage sind, die Merkzeichen ihres Bestehens in ihrem Betriebe wahrzunehmen, dass die ausgezeichnetsten und anerkannt geschicktesten Lehrer der praktischen Landwirthschaft seit 16 Jahren bemüht gewesen sind, und sich in der neuesten Zeit bemüht haben, zu beweisen, dass diese Gesetze für fruchtbare Felder keine Geltung haben; dass die Steigerung der Fruchtbarkeit eines Feldes durch die Brache die mechanische Bearbeitung und Hinwegnahme der Bodenbestandtheile in den Ernten die Dauer der Fruchtbarkeit nicht beeinträchtige; dass der Boden dauernd seine Fruchtbarkeit bewahre, auch wenn ihm die entzogenen Bodenbestandtheile nicht wieder ersetzt, d. h. die Zusammensetzung des Bodens nicht wieder hergestellt werde; sie lehren, dass ein fruchtbares Feld unerschöpflich sei an den Aschenbestandtheilen der Gewächse, und demzufolge niemals Mangel daran haben kann; dass die Fruchtbarkeit der Felder im Verhältniss stehe zu ihrem Gehalt an verbrennlichen Bestandtheilen, an Humus und Stickstoff; dass der Mangel an Fruchtbarkeit auf einem Mangel, und die Erschöpfung der Felder auf der Entziehung von Stickstoff beruhe. Der Mist, so behaupten sie, wirke nicht, weil dem Boden darin wiedergegeben werde, was man ihm im Korn, im Klee, in den Rüben, dem Tabak, Flachs, Hanf, Krapp, Wein etc. von seinen Bestandtheilen genommen, sondern der Mist wirke durch seine verbrennlichen Bestandtheile, und seine Wirkung stehe im Verhältniss zu seinem Gehalt an Stickstoff; seine unverbrennlichen Bestandtheile sehen blos zu wie die andern wirken, wie etwa der Mond zusieht wenn es thaut.

Die wissenschaftlichen Beweise seiner Irrthümer betrachtet der praktische Mann mit mitleidigem Lächeln, aber dieses Lächeln entspringt nicht aus dem Gefühle der Ueberlegenheit, welches das bewusste Wissen einflösst, sondern aus einer andern Quelle.

Die chemische Analyse mit ihren strengen Methoden beweist, dass es unter tausend Feldern kaum ein einziges giebt, welches von den Aschenbestandtheilen der Kleepflanze z. B. mehr als ein Procent in dem zum Bedarf der Kleepflanze richtigen Verhältniss enthält.

Im Jahre 1848 liess das königliche Landesökonomiecollegium in Berlin die Ackererde von vierzehn verschiedenen Orten des Königreichs einer chemischen Untersuchung unterwerfen. Die Proben wurden von möglichst gleichförmigen Feldern genommen, und jede derselben drei verschiedenen Chemikern zur Analyse übergeben. Das Ergebniss dieser Analyse ist, dass an Phosphorsäure und Kali (letzteres in wahrscheinlich aufnehmbarem Zustande) fünf Felder 2/10 Procent, sechs zwischen 3/10 und 5/10 und drei zwischen 5/10 und 6/10 Procent im Mittel enthielten.

Diese Analysen lehren nicht, dass ein Boden, welcher 6/10 Procent an diesen Bodenbestandtheilen enthält, darum fruchtbarer ist als ein

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_404.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)