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und gegenseitiger Abhängigkeit beherrscht und geregelt, welche gleich den Rädern in dem Triebwerk einer Maschine, nur unendlich vollkommener, in einander greifen, und die alle seine Lebensäusserungen, sein Bestehen und seine Fortdauer vermitteln.

Die chemische Analyse hat ergeben, dass in den Samen der Getreidearten und Hülsenfrüchte die schwefel- und stickstoffhaltigen Bestandtheile derselben, die in dem Ernährungsprocess der Menschen und Thiere zur Bildung der verbrennlichen Bestandtheile ihres Blutes dienen, stets begleitet sind von phosphorsauren Alkalien und alkalischen Erden, und dass zwischen beiden für jeden Samen ein festes unveränderliches Verhältniss besteht. Wenn in einer Samensorte der procentische Gehalt an Phosphorsäure steigt oder fällt, so nimmt in gleichem Verhältniss der Gehalt an seinen blutbildenden Bestandtheilen ab oder zu.

Die chemische Analyse zeigt ferner, dass in dem Blut eines Menschen, welcher von Brod, oder in dem eines Thieres, welches von Samen lebt, die nämlichen unverbrennlichen Bestandtheile wie in dieser Nahrung enthalten sind. Die Aschenbestandtheile des Blutes des Rindviehes, Schafes, Schweines entsprechen den Aschenbestandtheilen der Rüben, Kräuter oder Kartoffeln, womit diese Thiere ernährt worden sind.

Die mineralischen Bestandtheile der Pflanzen und Pflanzentheile sind aber zum Leben der Thiere, zur Bildung ihres Blutes und zu den Functionen des Blutes eben so unentbehrlich wie zum Leben der Pflanzen.

Die Phosphorsäure ist ein Bestandtheil des Gehirns und der Nerven, die phosphorsauren Alkalien und alkalischen Erden sind Bestandtheile des Fleisches aller Thiere; ein warmblütiges Thier ohne Knochen (phosphorsaurer Kalk) ist für uns nicht denkbar. Die Asche der Futtergewächse ist reich an kohlensaurem Alkali und Kochsalz. Das Blut der grasfressenden Thiere ist reich an kohlensauren Alkalien, das Kochsalz dient zur Bildung des darin enthaltenen kohlensauren Natrons.

Die Asche der Theeblätter, deren Aufguss von dem Menschen genossen wird, enthält 17 Procent, die der Maulbeerblätter, von welchen die Seidenraupe lebt, enthält nicht über 5 Procent Phosphorsäure. Jede dieser Zahlen hat ihre physiologische Bedeutung.

Wäre es möglich, dass eine Pflanze sich entwickeln, blühen und Samen tragen könnte, ohne die Mitwirkung der Bodenbestandtheile, so würde sie für Menschen und Thiere vollkommen werthlos sein.

Neben einer Schüssel voll rohen oder gekochten Eiweisses und Eigelbs, denen ein Hauptbestandtheil zur Blutbildung fehlt, stirbt ein Hund den Hungertod. Der erste Versuch belehrt ihn, dass diese Nahrung für seinen Ernährungszweck eben so wirkungslos ist, als wenn er einen Stein genösse.

Die Aschenbestandtheile der Rüben, der Wiesenpflanzen etc. vermitteln deren Ernährungswerth; wären sie nicht darin vorhanden, so würden dieselben von dem Pferd oder der Kuh nicht gefressen werden.

Ueberall in der Natur walten die ordnenden Gesetze, welche das Leben an die Erde fesseln und in ewiger Frische und Dauer erhalten; nur da wird die Erde alt und die Keime des Lebens verlöschen, wo der Mensch in seiner Beschränktheit ihre Existenz verleugnet und verkennt,

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 403. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_403.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)