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an den im Stroh und Korn hinweggenommenen Bodenbestandtheilen zu empfangen, bis zu einer bestimmten Grenze eine Reihe von lohnenden Ernten verschiedener Halmgewächse liefern kann, deren Aufeinanderfolge dadurch bedingt ist, dass die zweite Pflanze weniger vom Boden nimmt als die erste, oder dass die zweite eine grössere Anzahl von Wurzeln oder im Allgemeinen eine grössere aufsaugende Wurzeloberfläche besitzt. Von dem mittleren Ernteertrag im ersten Jahre an würden die Ernten von Jahr zu Jahr abgenommen haben.

Für den Landwirth, für welchen gleichförmige Mittelerträge Ausnahmen sind, und ein durch Witterungsverhältnisse bedingter Wechsel die Regel ist, würde diese stetige Abnahme kaum wahrnehmbar gewesen sein, selbst dann nicht, wenn in der Wirklichkeit sein Feld eine so günstige chemische und physikalische Beschaffenheit gehabt hätte, dass er siebzig Jahre nach einander Weizen, Roggen und Hafer darauf hätte bauen können, ohne allen Ersatz der entzogenen Bodenbestandtheile

Gute dem Mittelertrag sich nähernde Ernten in günstigen Jahren würden mit schlechten Erträgen gewechselt haben, aber immer würde das Verhältniss der ungünstigen zu den günstigen Ernteerträgen zugenommen haben.

Die grosse Mehrzahl der europäischen Culturfelder besitzt die physikalische Beschaffenheit, die in dem eben betrachteten Fall für das Feld angenommen worden ist, nicht.

In den meisten Feldern ist nicht alle den Pflanzen nöthige Phosphorsäure im wirksamen den Pflanzenwurzeln zugänglichen Zustand verbreitet; ein Theil derselben ist in der Form von kleinen Körnchen Apatit (phosphorsaurem Kalk) lediglich darin vertheilt, und wenn auch der Boden im ganzen mehr als ein genügendes Verhältniss enthält, so ist doch in den einzelnen Theilchen des Bodens in manchen weit mehr, in andern zu wenig für das Bedürfniss der Pflanze vorhanden. Die mechanische Bearbeitung würde diese Körnchen phosphorsauren Kalks verschieben, nicht verbreiten (diffundiren), es gehört zu ihrer Vertheilung die Mitwirkung einer chemischen Action.

Nach einer jeden Roggen- oder Haferernte bleibt in dem Boden eine beträchtliche Menge von Wurzeln zurück; von welchen nach einem oder zwei Jahren sich keine Spuren mehr vorfinden. Wir wissen, was aus der organischen Substanz dieser Wurzeln geworden ist, sie sind, wie man sagt, verwest, ihre Bestandtheile haben sich mit Sauerstoff verbunden, der Kohlenstoff derselben hat Kohlensäure gebildet, welche sich in der Luft in der porösen Ackerkrume anhäuft, wie sich durch die Analyse dieser Luft nachweisen lässt.

Wenn auf diesen Boden Regen fällt, so löst sich von diesem Kohlensäure im Wasser auf, und dieses empfängt damit das Vermögen phosphorsauren Kalk aufzulösen. Dieses kohlensaure Wasser entzieht der Ackerkrume den darin enthaltenen phosphorsauren Kalk nicht, wohl aber löst es überall, wo es Körnchen Apatit oder Phosphorit antrifft, eine gewisse Menge davon auf, denn in diesen Körnchen besteht keine Ursache des Widerstandes gegen die Wirkung des Wassers; ausser der Anziehung, die es zu seinen Theilchen hat, hindert keine fremde Anziehung seine Löslichkeit im Wasser.

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 392. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_392.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)