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In den gemässigten Zonen sind es gewöhnlich die einjährigen Gewächse, welche die Nahrung des Menschen erzeugen, und es ist die Aufgabe des Landwirths, durch diese seinen Feldern eben so viel an ernährenden Stoffen für den Menschen abzugewinnen, als eine gleiche Fläche Land mit perennirenden Gewächsen an Nahrungsstoffen für die Thiere liefert. Für das Thier, das für sich selbst nicht sorgen kann, sorgt die Natur, während der Mensch für die Sicherung seines Bestehens, das Vermögen empfangen hat, die Naturgesetze zu Dienern seiner Bedürfnisse zu machen.

Das beste Getreidefeld, welches gedüngt worden ist, erzeugt im Ganzen nicht mehr Blut- und Fleischbestandtheile als eine gute Wiese, die keinen stickstoffhaltigen Dünger empfangen hat; ungedüngt würde das Getreidefeld weniger als die Wiese hervorgebracht haben.

Was den Kornpflanzen in der Aufnahme ihrer atmosphärischen Nahrungsstoffe aus natürlichen Quellen, der Zeit nach, fehlt, um ein Maximum an Korn und Stroh zu erzeugen, was die sparsamen Blätter während ihrer kurzen Lebensdauer aus der Luft nicht aufzunehmen vermögen, führt der Landwirth durch die Wurzeln zu.

Was die Wiesenpflanzen in acht Monaten an atmosphärischen Nahrungsmitteln aufnahmen und was die Culturpflanzen, deren Aufnahmezeit auf vier bis sechs Monate beschränkt ist, aus der Luft nicht empfangen konnten, ersetzt der Landwirth demnach im Dünger und er bewirkt damit, dass die Kornpflanzen jetzt, in der kürzeren Zeit ihres Lebens, eben so viel Stickstoff zur Aufnahme und Aneignung vorfanden, als den Wiesenpflanzen aus natürlichen Quellen dargeboten wurde.

Die Wirkung stickstoffreicher Düngmittel und ihre Vortheilhaftigkeit in den einzelnen Fällen, erklärt sich demnach daraus, dass der Landwirth gewissen Pflanzen von schwacher Blatt- und Wurzelentwickelung und kurzer Vegetationszeit in Quantität im Dünger zuführt, was ihnen an Zeit zur Aufnahme aus natürlichen Quellen mangelt.

Nicht in allen Fällen führt der Landwirth den Stickstoff, womit er die Erträge seiner Kornfelder steigert, in der Form von Ammoniak zu, in welcher er in den in Fäulniss übergegangenen Menschen- und Thierexcrementen enthalten ist. Er benutzt dazu häufig noch stickstoffreiche Stoffe wie Horn und Hornspäne, getrocknetes Blut, frische Knochen, Rapskuchenmehl u. dergl.

Wir wissen, dass diese so wie alle stickstoffreichen Stoffe, welche von Thieren und Pflanzen stammen, nach und nach im Boden verwesen, und dass ihr Stickstoff allmählich in Salpetersäure und Ammoniak übergeht, welches letztere von der Ackerkrume aufgesaugt und festgehalten wird.

In allen den Fällen, in welchen das Ammoniak als solches einen günstigen Einfluss auf die Erträge hat, wirken auch diese Stoffe in Beziehung auf ihren Stickstoffgehalt ganz gleich dem Ammoniak, nur ist ihre Wirkung langsamer, weil sie je nach ihrer Zersetzbarkeit im Boden einer gewissen Zeit bedürfen, ehe ihr Stickstoff in Ammoniak übergeht; getrocknetes Blut und Fleisch, so wie die stickstoffreichen Bestandtheile des Rapsmehles wirken schneller wie der Leim der Knochen, dieser schneller wie Horn und Hornspäne.

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 382. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_382.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)