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Für viele Wasserpflanzen, deren Wurzeln den Boden nicht berühren, müssen, wie sich von selbst versteht, für die Aufnahme ihrer mineralischen Nahrung andere Gesetze bestehen, sie müssen sie wie die Seegewächse aus dem umgebenden Medium nehmen, denn überall, wo eine Pflanze wächst, muss sie die Bedingungen ihrer Existenz vorfinden.

Die Untersuchung der Wasserlinsen (Lemna trisulca) bot in dieser Hinsicht einige interessante Beobachtungen dar. Diese Pflanze wächst in stehenden Wassern, Teichen und Sümpfen und schwimmt auf der Oberfläche des Wassers, so dass ihre Wurzeln ausser aller Berührung mit dem Boden sind.

Es wurde eine Portion dieser Pflanzen von einem künstlichen Sumpfe des hiesigen botanischen Gartens gesammelt, getrocknet und verbrannt und ihr Aschengehalt bestimmt; es wurden gleichzeitig 10 bis 15 Liter des Sumpfwassers, welches eine schwach grünliche Farbe besass, filtrirt und zur Trockne abgedampft; die Asche so wie der Salzrückstand des Wassers wurden der Analyse unterworfen.

Um die Vergleichung zu erleichtern, stelle ich die Analysen beider neben einander.

Asche von Wasserlinsen: Salzrückstand des Wassers aus dem botanischen Garten:
100 Th. getrocknete Linsen gaben 16,6 Th. Asche. In 100 Th. der schwach geglühten Asche sind enthalten: 1 Liter enthält 0,415 Grm. Salzrückstand (schwach geglüht). In 100 Th. der Salze sind enthalten:
Kalk 16,82 35,00
Bittererde 5,08 12,264
Kochsalz 5,897 10,10
Chlorkalium 1,45
Kali 13,16 3,97
Natron 0,471
Eisenoxyd mit Spuren von Thonerde 7,36 0,721
Phosphorsäure 8,730 2,619
Schwefelsäure 6,09 8,271
Kieselsäure 12,35 3,24

Der Gehalt an Mineralbestandtheilen in diesen Wasserpflanzen so wie in dem Sumpfwasser dürfte bei Vielen eine eben so grosse Verwunderung als bei dem ersten Beobachter erwecken; denn in der That liess sich wohl nicht voraussetzen, dass eine solche Pflanze in ihrem Reichthum an Mineralbestandtheilen bei weitem die grösste Mehrzahl der Landpflanzen übertrifft. Diese Bestandtheile nahm die Pflanze unzweifelhaft aus einer Lösung auf, allein es fand, was das Bemerkenswertheste ist, eine Auswahl statt.

Die Vergleichung der Zusammensetzung des Wassers mit den Aschenbestandtheilen ergiebt, dass alle Mineralsubstanzen des ersteren, bis auf das Natron, sich in der Pflanze befinden, aber in einem sehr geänderten Verhältnisse; das Wasser enthält 45 Procent Kalk und Magnesia, die Pflanze nur 21 Procent von beiden; das Wasser enthält 0,72 Procent Eisenoxyd, die Pflanze zehnmal mehr; die Unterschiede zwischen Phosphorsäure, Kali u. s. w. sind nicht minder gross. Die Pflanze nahm die löslichen Mineralbestandtheile in den Verhältnissen auf, wie sie sie für ihren Lebensprocess bedurfte, und keineswegs in den Verhältnissen, in denen sie ihr von der Flüssigkeit dargeboten wurden.

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 357. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_357.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)