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von Mitteln, um die Erträge zu erhöhen und das Einkommen zu verbessern; was vortheilhaft sei, dies wisse sie nicht; man habe sie mit der Experimentirkunst verwechselt, die nach Zwecken frage; ihre Aufgabe sei nach Gründen zu suchen; sie sei nur eine Leuchte, die das Dunkel erhelle. Die Wissenschaft verleihe nur Kraft, kein Geld, und die Kraft mache arm und reich; reich, wenn sie erzeugt, arm, wenn sie zerstört; sie bleibe stark im Ersatz und verzehre sich im Verbrauch.

Wenn die Landwirthschaft zu dauernden Erfolgen gelangen wolle, so müsse sie sich entschliessen, den Weg zu gehen und die Methode zu befolgen, welche die Wissenschaft als die einzig sichere erkannt hat, um Klarheit in unbekannte und dunkle Vorgänge und Verhältnisse zu bringen, und dies könne geschehen, ohne auf irgend eine ihrer gewonnenen Thatsachen und Erfahrungen zu verzichten; nicht an diesen, sondern an ihrem Verständniss sei Mangel. Sie sollten vorläufig verzichten, von den Thatsachen aufwärts Schlüsse – einem Zweck zu – zu machen, und sich lediglich damit beschäftigen, von allen Vorgängen, welche das Leben und die Entwickelung der Pflanzen umfassen, deren Erzeugung ihr Ziel sei, rückwärts die nächsten Bedingungen zu erforschen. Von der günstigen Wirkung eines Düngerbestandtheils in einem einzelnen Falle sollten sie vorläufig keinen Schluss ziehen auf seine günstige Wirkung in einem anderen Falle, um sogleich Nutzen daraus zu ziehen, sondern sie sollten vorerst darnach fragen, was denn die günstige Wirkung des Düngstoffs in dem speciellen Fall bedingt habe.

Diese Untersuchungen sind in landwirthschaftlichen Verhältnissen dadurch ausserordentlich erleichtert, dass alle Bedingungen der Vorgänge oder Wirkungen oder ihre nächsten Ursachen sinnlich wahrnehmbar, und, wenn man es richtig anzufassen weiss, mit den Händen greifbar sind.

Die günstige Wirkung des Düngmittel a hängt immer von einer gewissen physikalischen Beschaffenheit des Bodens, und von dem Vorhandensein eines zweiten Stoffes b, eines dritten c, eines vierten d und so fort ab. Wenn man alles dieses aufgesucht hat, so unterwirft man jetzt seinen Schluss einer Probe, welche zeigen muss, ob man alle seine Bedingungen beisammen und keine übersehen hat. Man versucht also in einem andern Boden durch Vereinigung der aufgefundenen Bedingungen die nämliche Wirkung hervorzubringen, und wenn der Erfolg den Voraussetzungen entspricht, und gleich günstig ist, so hat man einen ausserordentlichen Schritt vorwärts gemacht, denn von diesem speciellen Fall aus kann man jetzt in allen ähnlichen Fällen die gleichen oder ungleichen Wirkungen des Düngstoffs a im voraus erschliessen, die gleichen überall, wo man weiss, dass dieselben Bedingungen in gleicher Weise vorhanden sind, die ungleichen, wenn man weiss, dass eine derselben fehlt oder mangelt.

Der Ausdruck für das Zusammenwirken und Vorhandensein aller Bedingungen der beobachteten Wirkung heisst jetzt ein Gesetz, ein specielles Gesetz, weil es sich auf einen speciellen Fall, eine bestimmte Pflanze zum Beispiel, bezieht. Wenn dieses Gesetz wahr ist für sauren phosphorsauren Kalk und „Rüben“, so ist es deshalb nicht gleich wahr für „Weizen“. Aber für jeden Düngstoff, für jede Pflanze lassen sich ähnliche specielle Gesetze ermitteln, aus denen sich dann allgemeine entwickeln lassen, welche Ausdrücke sind für die Bedingungen des Wachsthums

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_339.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)