Seite:De Chemische Briefe Justus von Liebig 328.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


in diesem Zustande sich selbst, so gelatinirt jetzt der mit Kalkbrei gemischte Thon, wenn man ihn mit einer Säure zusammenbringt; diese Eigenschaft ging ihm vor der Berührung mit Kalk beinahe völlig ab. Der Thon wird, indem der Kalk eine Verbindung mit seinen Bestandtheilen eingeht, aufgeschlossen, und was noch merkwürdiger ist, der grösste Theil der darin enthaltenen Alkalien wird in Freiheit gesetzt. Diese schönen Beobachtungen sind zuerst von Fuchs in München gemacht worden; sie haben nicht allein zu Aufschlüssen über die Natur und Eigenschaften der hydraulischen Kalke geführt, sondern was weit wichtiger gehalten werden muss, sie haben die Wirkungen des ätzenden gelöschten Kalkes auf die Ackerkrume erklärt und der Agricultur ein unschätzbares Mittel geliefert, um den Boden aufzuschliessen und die den Pflanzen unentbehrlichen Alkalien in Freiheit zu setzen.

Im October haben die Felder in Yorkshire und Herefordshire das Ansehen, wie wenn sie mit Schnee bedeckt wären. Ganze Quadratmeilen sieht man mit gelöschtem oder an der Luft zerfallenem Kalk bedeckt, der in den feuchten Wintermonaten seinen wohlthätigen Einfluss auf den dortigen steifen Thonboden ausübt.

Im Sinne der jetzt verlassenen Humustheorie sollte man denken, dass der gebrannte Kalk eine nachtheilige Wirkung auf den Boden ausüben müsste, weil die darin enthaltenen organischen Materien durch den Kalk zerstört, weil sie unfähig dadurch gemacht werden, einer neuen Vegetation Humus abzugeben; allein es tritt ganz das Gegentheil ein, die Fruchtbarkeit des Bodens für Cerealien findet sich durch den Kalk gesteigert. Die Cerealien bedürfen der Alkalien, der löslichen kieselsauren Salze, welche durch die Wirkung des Kalkes für die Pflanze assimilirbar gemacht werden. Ist nebenbei noch eine verwesende Materie vorhanden, welche Kohlensäure liefert, so wird ihre Entwickelung befördert; allein nothwendig ist sie nicht. Geben wir dem Boden Ammoniak und die den Getreidepflanzen unentbehrlichen phosphorsauren Salze, im Fall sie ihm fehlen, so haben wir alle Bedingungen zu einer reichlichen Ernte erfüllt; denn die Atmosphäre ist ein ganz unerschöpfliches Magazin an Kohlensäure. Einen nicht minder günstigen Einfluss auf die Fruchtbarkeit des Thonbodens übt in manchen Gegenden das blosse Brennen desselben aus.

Die Beobachtung des merkwürdigen Wechsels in seinen Eigenschaften, welche der Thon durch Brennen erfährt, ist noch nicht alt; man hat sie zuerst in der Mineralanalyse an manchen Thonsilicaten gemacht. Viele derselben, welche im natürlichen Zustande von Säuren nicht angegriffen werden, erlangen eine vollkommene Löslichkeit, wenn man sie vorher zum Glühen und Schmelzen erhitzt. Zu diesen gehört der Töpfer- oder Pfeifenthon, der Lehm und die verschiedenen in der Ackerkrume vorhandenen Modificationen des Thons. Im natürlichen Zustande kann man sie z. B. mit concentrirter Schwefelsäure Stunden lang kochen, ohne dass sich etwas bemerklich auflöst; wird der Thon (wie der Pfeifenthon in manchen Alaunfabriken) aber schwach gebrannt, so löst er sich mit der grössten Leichtigkeit in der Säure; die darin enthaltene Kieselerde wird als Kieselgallerte im löslichen Zustand abgeschieden.

Empfohlene Zitierweise:
Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 328. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_328.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)