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Grund des niedrigen Preises der Fleischwaaren beruht darin, dass in Jahren der Missernten, in Folge von einem Uebermaass an Feuchtigkeit, wenn die gewöhnlichen Nährpflanzen missrathen, Ueberfluss an grünem Futter, an Klee, Gras, Wurzelgewächsen ist; das Fleisch behält seinen niedern Preis, weil die Nachfrage darnach nicht in dem Verhältniss wie nach Brod steigt; in trockenen Jahren hat der Landwirth kein Futter, er ist genöthigt, sein Vieh zu schlachten oder um jeden Preis zu verkaufen und die Ueberführung des Marktes macht das Fleisch noch wohlfeiler als in gewöhnlichen Jahren.

Der fleischessende Mensch bedarf zu seiner Erhaltung eines ungeheueren Gebietes, weiter und ausgedehnter noch als der Löwe und Tiger, weil er – wenn die Gelegenheit sich darbietet – tödtet, ohne zu geniessen. Eine Nation Jäger auf einem begrenzten Gebiete ist der Vermehrung durchaus unfähig; der zum Athmen unentbehrliche Kohlenstoff muss von den Thieren genommen werden, von denen auf der gegebenen Fläche nur eine beschränkte Anzahl leben kann. Diese Thiere sammeln von den Pflanzen die Bestandtheile ihres Blutes und ihrer Organe und liefern sie den von der Jagd lebenden Indianern, die sie unbegleitet von den Stoffen geniessen, welche während der Lebensdauer des Thieres seinen Athmungsprocess unterhielten. Während der Indianer mit einem einzigen Thiere und einem diesem gleichen Gewichte Stärkmehl eine gewisse Anzahl von Tagen hindurch sein Leben und seine Gesundheit würde erhalten können, muss er, um die für die diese Zeit nöthige Wärme zu gewinnen, fünf Thiere verzehren. Seine Nahrung enthält einen Ueberfluss von plastischem Nahrungsstoff; was ihr in dem grösseren Theil des Jahres fehlt, ist das hinzugehörige Respirationsmittel; daher denn die dem fleischessenden Menschen innewohnende Neigung zu Branntwein.

Die praktische Seite des Ackerbaues kann nicht klarer und tiefer aufgefasst werden, als dies in der Rede des nordamerikanischen Häuptlings geschehen, welche der Franzose Crevecoeur überliefert hat. Jener – seinem Stamme der Missisäer den Ackerbau empfehlend – sprach: „Seht ihr nicht, dass die Weissen von Körnern, wir aber von Fleisch leben? Dass das Fleisch mehr als 30 Monde braucht um heranzuwachsen, und oft selten ist? Dass jedes der wunderbaren Körner, die sie in die Erde streuen, ihnen mehr als hundertfältig zurückgiebt? Dass das Fleisch vier Beine hat zum Fortlaufen und wir nur zwei, um es

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 312. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_312.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)