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Hefe sich abscheiden, für die Ernährungszwecke verloren. Nur der Theil derselben, welcher in den Trebern bleibt, wird als geschätztes Viehfutter, namentlich für Milchkühe, benutzt. In der Würzebereitung lagert sich über den Trebern eine teigartige Masse ab, die aus feinen abgeschlämmten Mehltheilen des Malzes besteht und unter dem Namen „Oberteig“ den deutschen Bierbrauern wohl bekannt ist. Dieser Oberteig enthält bis 26 Procent plastische Bestandtheile und 4 bis 8 Procent Stärkmehl und liefert, mit Beachtung seines grossen Wassergehaltes dem Mehle zugesetzt (zu gleichen Theilen), ein tadelloses Brod. Die Brauereien Würtembergs liefern jährlich an 30,000 Ctr. Malzteig, welche 17,000 Ctr. Brod liefern könnten. (Schlossberger.) Alle diese Hülfsmittel, um in Hungerjahren die Noth der ärmeren Classen zu lindern, sind nur localer Natur und machen für die Bewohner eines grossen Landes im Verhältniss zum Verbrauch nur wenig aus; es giebt nur Ein nachhaltiges Mittel für die weitesten Kreise, das darin besteht, dass das feingemahlene Korn ungebeutelt, d. h. das Mehl mit der Kleie zu Brod verbacken und der ganze im Korn vorhandene Nahrungsstoff dem Menschen zugewendet wird.

Im Jahre 1668 verbot eine Verordnung Ludwig’s XIV. unter Androhung schwerer Geldstrafen, die Kleie noch einmal zu mahlen, was nach der damaligen Mühleneinrichtung einen Verlust von 40 Procent nach sich zog; im siebenzehnten Jahrhundert schätzte Vauban den jährlichen Verbrauch eines Mannes nahe auf 712 Pfund Weizen, eine Quantität, welche jetzt beinahe für zwei Mann ausreicht, und es werden heutzutage durch die Verbesserung unserer Mühlen ungeheure Massen Nahrungsstoff, viele hundert Millionen jährlich an Werth, für die Menschen gewonnen, welcher früher blos für die Thiere diente, für welche derselbe unendlich leichter durch andere Nahrungsmittel ersetzbar ist, die sich für den Genuss des Menschen durchaus nicht eignen. Es ist schon lange, namentlich durch Millon, auf den hohen Werth der Kleie als Nahrungsmittel aufmerksam gemacht worden. Der Weizen enthält nicht über 2 Procent unverdauliche Holzsubstanz, und eine vollkommene Mühle im weitesten Sinne sollte nicht über diese Quantität an Kleie geben; aber unsere besten Mühlen geben immer noch 12 bis 20 Procent (10 Theile grobe, 7 Theile feine Kleie und 3 Theile Kleienmehl), die gewöhnlichen Mühlen bis 25 Procent an Kleie, welche 60 bis 70 Procent der nahrhaftesten Bestandtheile des Mehls enthält[1].

Es ist einleuchtend, dass mit dem Verbacken des ungebeutelten Mehls die Brodmasse mindestens um ⅙ bis ⅕ vergrössert, und der

  1. Zusammensetzung der Weizen-Kleie:
    Millon Kekulé
    Stärkmehl 52,0 67,3
    Kleber 14,9
    Zucker 1,0
    Fett 3,6 4,1
    Holzsubstanz 9,7 9,2
    Salze 5,0 5,6
    Wasser 13,8 13,8
    100 100
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_303.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)