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Wir halten es für eine Wahrheit, welche keines besonderen Beweises bedarf, dass aus dem Albumin Leimsubstanz und Choleinsäure, so wie Blutfibrin, dass aus Leimsubstanz und Chondrin Harnsäure und Harnstoff entstehen; die Formeln drücken nach unseren gegenwärtigen Kenntnissen aus, in welchen Verhältnissen dies geschehen kann, nicht in welchen es wirklich geschieht; darin liegt das Hypothetische dieser Formeln, dass wir für die Richtigkeit dieser Spaltungen in den angedeuteten Verhältnissen keine Beweise besitzen; sie haben nur Gründe der Wahrscheinlichkeit für sich.

Mit der grössten Bestimmtheit geht aber daraus hervor, dass das Albumin mit 10 Aeq. Wasser gerade auf die Elemente der Substanz der Membranen und der Choleinsäure enthält, dass Blutfibrin vielleicht zur Hälfte in Leimsubstanz übergegangenes Blutalbumin ist, dass Leimsubstanz unter dem Einfluss des Respirationsprocesses gerade auf in Cholsäure, in Harnsäure oder in Harnstoff, Kohlensäure und Wasser zerfallen kann, dass wenn sich Harnsäure aus Leimsubstanz im Stoffwechsel bildet, die Elemente der Cholsäure übrig bleiben, dass die Bestandtheile des Harns und der Galle mit einander in einer sehr nahen Beziehung stehen müssen.

Aus diesen Formeln schliessen wir ferner, dass der Ernährungswerth des Caseins der Milch für das Kind grösser, für den Erwachsenen kleiner ist, als der des Albumins; denn es ist vollkommen sicher, dass die Natur den Ueberschuss an Elementen, den das Casein mehr als das Albumin enthält, im jugendlichen Leibe zu gewissen Zwecken bedarf und verwendet, welche für das erwachsene Thier keine Bedeutung mehr haben; wir schliessen daraus, dass die in den Speisen genossene Leimsubstanz für die Blutbildung ungeeignet ist und die Erzeugung der Galle und des Harns vermehrt, wie dies durch die Erfahrung für die letzteren längst schon erkannt ist[1].

Der Kleber der Getreidearten, so wie das Albumin der Pflanzensäfte sind in ihrer Zusammensetzung mit Blutalbumin identisch; das Pflanzencasein besitzt die Zusammensetzung des Thiercaseins.

In Beziehung auf ihren Gehalt an Salzen oder unverbrennlichen Bestandtheilen sind sich die Getreidearten nicht gleich. Im Weizen wechselt der Gehalt an Phosphorsäure von 40 bis 48 (Th. Way und

  1. Es ist bekannt, dass durch Einwirkung von Oxydationsmitteln auf Cholsterin eine eigenthümliche Säure, die Cholsterinsäure entsteht (Redtenbacher) und dass dieselbe Säure auf ähnliche Weise aus Cholsäure und Choleinsäure (Schlieper) und sonst aus keinem anderen Bestandtheil oder Product des Thierkörpers erhalten werden kann. Dieses Verhalten stellt eine Beziehung zwischen den Säuren der Galle und dem in eben diesem Secrete oft in so grosser Menge vorkommenden Gallenfett fest, und es ist nicht unmöglich, dass das Cholsterin ein Product der Umwandlung der Gallensäuren im organischen Processe ist. Niemand weiss bis jetzt was aus diesen Säuren wird.
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_298.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)